HERZKAMMER
Herr Goppel, welchen Eindruck haben Sie von den Jugendlichen von heute?
THOMAS GOPPEL
Man beurteilt ein Gegenüber immer an den erlebten Beispielen. Die Jugend, die ich erlebe, verdient einen Haufen Komplimente. Der Musikernachwuchs löst nicht nur bei mir echte Begeisterung aus. Da integrieren sich Jugendliche vorbildlich, erweisen sich als gemeinschaftsfähig. Die Senioren/innen, die ich berichten höre, teilen diese Ansicht und Auffassung: In wesentlichen Anteilen sind die Jugendlichen nicht halbstark, sondern stark. Eine Gefahr allerdings sehe ich: Nicht zuletzt die Integration des einzelnen jungen Menschen verlangt nach systematischerer Hilfestellung der Gesellschaft. Ohne Geschwister und allein mit der modernen Kommunikation fehlt es mehr und mehr am lebendigen Dialog und an Antworten auf verschiedenste Lebensfragen.
HERZKAMMER
Und Sie, Herr Hopp, wie nehmen Sie die ältere Generation wahr?
GERHARD HOPP
Vor allem dahingehend, dass „älter“ ganz und gar nicht gleichzusetzen ist mit „zurückgezogen“ oder auf dem „Altenteil“, sondern ganz im Gegenteil: Ich glaube, wir haben jetzt eine so aktive und engagierte ältere Generation wie wohl noch nie zuvor. Viele wollen sich nach dem Berufsleben für die Gesellschaft engagieren, sich einbringen und etwas zurückgeben. Das ist ein großer Schatz, wenn es um das Ehrenamt geht, aber auch um die Erfahrungen beispielsweise im Zusammenhang mit der Einigung Europas. Wir haben jetzt auch die erste Generation an Jüngeren, die Europa ausschließlich geeint und in Frieden kennt. Es ist aber eben nicht selbstverständlich, dass diese Entwicklung so weitergeht. Daher ist der Erfahrungsaustausch hier meiner Meinung nach ganz wichtig.
HERZKAMMER
Das Zusammenleben unterschiedlicher Generationen – beispielsweise in einem größeren Familienverbund – ist heute nicht mehr selbstverständlich. Eine Folge der demografischen Entwicklung wird sein, dass weniger Junge künftig mit immer mehr Alten immer länger zusammen leben werden. Wie kann man hier politisch die richtigen Weichen für ein gelingendes Miteinander stellen?
GERHARD HOPP
Ich selbst habe das Glück, dass ich in einem funktionierenden „Mehrgenerationenhaus“ mit unseren Schwiegereltern und unseren Kindern in einem kleinen Dorf leben darf, was das Familienleben unwahrscheinlich bereichert – und da schließe ich das gesamte Dorfleben mit ein. Um beim Begriff der Mehrgenerationenhäuser (MGHs) zu bleiben: In diesen sehe ich ganz große Möglichkeiten, um Menschen zusammenzubringen: Vom gemeinsamen Basteln über Informationsabende bis zum Kinosommer oder auch ganz konkreter Hilfe entstehen in und um Mehrgenerationenhäuser herum wertvolle Kontakte und Initiativen, die weiter gefördert und gestützt werden müssen. Neue Wege, um Menschen zusammenzubringen, geht man auch bei Seniorenwohngenossenschaften, die jedem im Rahmen seines Bedarfs und seiner Möglichkeiten Gemeinschaft bieten. Häufig werden sowohl Mehrgenerationenhäuser als auch Senioren-WGs zu echten neuen Begegnungszentren im Ort.
THOMAS GOPPEL
Für mich ist in unserer Zeit wichtiger denn je, dass die Norm für gesellschaftliches Miteinander die Familie als Kerntrupp des Miteinander wiederentdeckt und fördert. Liebe, Vertrauen, aufbauender Rat und überprüfbare Kritik brauchen einen zuverlässigen Übungsraum, der Großzügigkeit und Strenge, Nachsicht und Aufsicht in stets angemessener Ausgewogenheit zulässt.
HERZKAMMER
Zusammenleben hat ja auch konkret mit zusammen „leben“, also gemeinsamen Lebensräumen zu tun, in denen man sich auch begegnen kann. Welche Rolle spielen dabei die Städte und Kommunen?
THOMAS GOPPEL
Neben der Aufwuchs-, Lebens-, Vertrauenswelt der Familie betrachte ich die heimische Umgebung, den Wohn- und Lebensort der Kommune als das staatliche Angebot, ein echtes Heimatgespür zu entwickeln. „Da darf der Bär rocken“ und tut es!
GERHARD HOPP
Ganz klar sind es die Kommunen, in denen sich das Leben abspielt und die einen ganz großen Beitrag zu einem Miteinander der Generationen leisten können. Daher sind es oft Gemeinden oder Städte, die MGHs oder Senioren-WGs einrichten. Viele Städte oder auch Landkreise haben bereits seniorenpolitische Gesamtkonzepte erarbeitet. Wichtig ist, dass man den Fokus vielleicht noch etwas mehr auf ein Miteinander der Generationen richtet und den Dialog fördert, denn in mehr Bereichen als man glaubt, haben Jüngere und Ältere gemeinsame Interessen. Ein Beispiel ist die Barrierefreiheit: Barrierefreie Über- und Zugänge sind für Ältere ebenso wie für junge Familien wichtig.
HERZKAMMER
Aus Ihrer Arbeit als jugend- beziehungsweise seniorenpolitischer Sprecher: Welche Wünsche und Forderungen haben heutige Jugendliche und ältere Menschen?
GERHARD HOPP
Die Welt verändert sich immer schneller, das erleben, glaube ich, alle Generationen gleichermaßen. Die Jugendlichen heute wachsen auf der einen Seite in einem so sicheren, wohlhabenden und freien Umfeld auf wie wohl wenige Generationen in der Geschichte vor ihnen. Gleichzeitig sind sie aber auch mit vielen Ungewissheiten konfrontiert – von der veränderten Arbeitswelt über die Digitalisierung bis hin zur Sicherheit im öffentlichen Raum und bei der sozialen Absicherung. Jugendliche wollen daher vor allem ernst genommen werden. Sie haben auch sehr viel zu sagen und wir können von ihnen lernen, beispielsweise bei Fragen des Internets und der Neuen Medien. Wir Politiker müssen die Jugendlichen dann aber auch wirklich ernst nehmen. Nur zu sagen: „Ihr seid die Zukunft und wir brauchen euch unbedingt, um die Altersversorgung zu finanzieren“, ist zu wenig, wenn es um Konfliktthemen wie die Rentenversicherung geht.
THOMAS GOPPEL
Ältere Menschen neigen dazu, sich zurückzuziehen, junge wollen, sollen und müssen die „Welt erobern“. Deshalb geht meine erste Forderung an die, die beide Seiten ermuntern, sich aufeinander einzulassen. Mustergültige Beispiele gibt es: Kindergärten im Altenheim. Die Ersatzgroßeltern und die freiwillige Hilfe auf Gegenseitigkeit.
HERZKAMMER
Gibt es auch gemeinsame Anliegen oder sind die Generationen eher auf unterschiedliche Themen fokussiert?
GERHARD HOPP
Auf den ersten Blick erscheinen Themen wie Rente und Generationengerechtigkeit natürlich als konträr, aber im Kern können sie die Generationen einen: Wir alle sind daran interessiert, dass unser Rentensystem auf Dauer tragfähig ist, der Staat nicht überschuldet ist und handlungsfähig bleibt. Daher setze ich darauf, dass man im Miteinander an Lösungen arbeitet.
THOMAS GOPPEL
Wenn Menschen in der richtigen Umgebung aufwachsen, haben sie auch erlebt und gelernt, dass Gemeinsamkeit eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelingendes Zusammenleben ist.
HERZKAMMER
Nehmen wir eine der bedeutendsten Entwicklungen der vergangenen und zukünftigen Jahre: Die Digitalisierung. Wie kann ich diesen Trend so gestalten, dass ich alle Generationen mitnehme und nicht die älteren, „analog Natives“, ausschließe?
THOMAS GOPPEL
Ganz klar: Dort, wo Familien, Generationengemeinschaften existieren und funktionieren, schwinden die Ausschlusskriterien bis zur Unsichtbarkeit.
GERHARD HOPP
Es ist unbestritten so, dass es vor allem die Jüngeren sind, die mit Internet, Facebook, Smartphones & Co. ganz selbstverständlich aufwachsen. Digitale und analoge Natives in jung und alt zu unterteilen wäre aber zu holzschnittartig, da wir auch aufpassen müssen, dass wir nicht manche Jugendliche auf diesem Weg verlieren. Wir haben in den letzten Jahren den Medienführerschein kontinuierlich ausgebaut, auf die Schulen, die frühkindliche Bildung und jetzt ab Sommer auch für die Jugendarbeit. Damit machen wir nicht nur die Jüngeren fit für dieses Thema, sondern ich könnte mir gut vorstellen, dass es in diesem Feld gerade die Kinder und Jugendlichen sind, die ihre Erfahrungen an ihre Eltern und Großeltern weitergeben. Das ist doch eine große Chance für ein gelebtes Miteinander der Generationen!
HERZKAMMER
In einem Beitrag für die HERZKAMMER stellen wir Projekte vor, die Generationen zusammenbringen. Wie wichtig sind solche Projekte für unsere Gesellschaft?
GERHARD HOPP
Ganz wichtig, um zu sehen, wo ein Miteinander bereits jetzt funktioniert und möglich ist. Und mindestens genau so wichtig als Anregung, wo man sich vor Ort vielleicht auch selbst einbringen kann.
THOMAS GOPPEL
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
HERZKAMMER
Was können heutige Jugendliche von den älteren Menschen lernen?
THOMAS GOPPEL
Alles, aber vor allem, wie der Mensch in schwierigen Zeiten schnell lernt, dass im Zusammenhalt mehr zu erreichen ist als im gegenseitigen Maulen und Nörgeln. Und: Lob setzt mehr Kräfte frei als Tadel und jede Absetzbewegung.
GERHARD HOPP
Ältere Menschen machen unsere Geschichte auf jeden Fall greif- und erlebbarer: Es ist etwas ganz anderes, Erfahrungen in Weltkriegen, im Kalten Krieg, im geteilten Europa oder auch in einer Diktatur im persönlichen Gespräch zu erleben als im Geschichtsbuch. Diese Erfahrungen sind wertvoll, um beispielsweise das europäische Friedensprojekt zu schätzen und zu lernen, dafür auch heute noch zu kämpfen. Darüber hinaus ist sicherlich Gelassenheit eine Eigenschaft, die auch ich mir manchmal gerne von Älteren abschauen würde.
HERZKAMMER
Und von welchen Eigenschaften der Jungen könnten sich die Älteren noch eine Scheibe abschneiden, Herr Goppel?
THOMAS GOPPEL
In unseren Tagen dürfen die Freude an der Erneuerung und die Neugier auf Alternativen – egal in welchem Alter – nie nachlassen!