Vanessa Hensel nimmt ein Notizbuch aus ihrer Tasche. Sie setzt sich zusammen mit Reinhold Heiß an den Konferenztisch im Büro der AKTIVSENIOREN BAYERN e.V. in der Landshuter Allee in München. „Ich erzähle jetzt am besten mal, wo ich gerade stehe und was sich seit unserem letzten Treffen getan hat." Reinhold Heiß nickt zustimmend: „Ich bin gespannt wie Sie Ihre Geschäftsideen strukturieren konnten." Dann erzählt Vanessa Hensel von der Website eines ihrer neuen Projekte, die seit dem letzten Treffen online gegangen ist. „Ich fände es super, wenn ich Ihnen den Link zur Website weiterleite und Sie sich das anschauen", sagt Hensel. Reinhold Heiß, Vorstandsvorsitzender der AKTIVSENIOREN BAYERN e.V. macht sich Notizen, fragt nach, wie die Umsetzung lief. Beide beschließen, dass Vanessa Hensel beim nächsten Treffen ihr neues Produkt vorstellt – wie bei einem tatsächlichen Verkaufsgespräch. Heiß möchte noch einen Kollegen dazu holen, auch Vanessa Hensel möchte noch jemanden mitbringen. Die nächsten Arbeitsaufträge und Schritte sind festgelegt.
Im Oktober 1984 gründeten sieben engagierte Senioren in München den Vorläufer der heutigen AKTIVSENIOREN BAYERN e.V. Seitdem geben die Mitglieder des Vereins ihre Berufs- und Lebenserfahrung ehrenamtlich an junge Unternehmer weiter. Rund 400 ehemalige Unternehmer und Führungskräfte aus allen Branchen machen mit. Inzwischen ist der Verein in zehn Regionen in ganz Bayern tätig.
Fragen ist das Hauptgeschäft
Reinhold Heiß hat noch weitere Fragen – welche Erwartungen hat Frau Hensel an ihr neues Projekt, wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Geschäftspartnerinnen. „Fragen ist unser Hauptgeschäft", so Heiß, der seit 2010 für die AKTIVSENIOREN BAYERN e.V. junge Menschen bei der Unternehmensgründung berät und unterstützt. „Wir möchten unseren Klienten keine fertigen Geschäftsmodelle aufzwingen. Sie sollen selbst Antworten auf ihre Fragen entwickeln. Wir hören daher vor allem aktiv zu, fragen nach und helfen, die Ideen zu einem Konzept zusammenzubringen."
Vanessa Hensel stimmt zu: „Bei mir ist es derzeit so, dass ich beruflich eine Liste von zehn Möglichkeiten habe und erkennen muss, was mir wirklich liegt, wie ich meine Stärken und Vorstellungen in die richtigen Bahnen lenke. Hier hilft mir Herr Heiß, indem er umschreibt und zusammenfasst, was ich ihm erzähle und mir die richtigen Fragen stellt. Dann merke ich auf einmal selbst: ok, hier verzettele ich mich wieder, hier komme ich gleich wieder in den 80-Stunden-Arbeits-Modus." Hensel hat BWL studiert, als Investment-Managerin gearbeitet und bereits mehrere Unternehmen gegründet. Nach einer Auszeit hat sie nun verschiedenste berufliche Optionen. In welche Richtung es für sie gehen soll und welche Konsequenzen es hat, wenn sie sich für Weg A, B oder C entscheidet – dafür holt sie sich bei Reinhold Heiß von den AKTIVSENIOREN BAYERN e.V. Unterstützung.
Win-Win-Situation für Jung und Alt
Heiß, Studium der Feinwerktechnik und Optik, 45 Jahre bei Siemens, zuletzt Chef der Mechanikentwicklung für Mobiltelefone, bringt eine gehörige Portion Lebens- und Berufserfahrung in seine Beratungsgespräche ein. Nach seinem Ausscheiden bei Siemens hat er zwei Firmen gegründet und suchte auch nach seinem Ausstieg aus dem aktiven Berufsleben nach einer sinnvollen Beschäftigung. Bei einer Veranstaltung wurde er auf die AKTIVSENIOREN BAYERN aufmerksam. 30 bis 40 Stunden in der Woche ist Heiß für den Verein am Start – und auch mal abends oder am Wochenende. Eigentlich ein Full-Time-Job.
„Unsere Erfahrung für Ihre Zukunft" ist das Motto des Vereins. Und nicht nur die jungen Klienten profitieren von den Erfahrungen der aktiven Senioren – auch die AKTIV-SENIOREN bleiben up to date und lernen ständig dazu. „Wenn jemand ein Unternehmen im Bereich E-Commerce gründen möchte, so ist das für jemanden, der vor 20 oder 40 Jahren tätig war, natürlich ein ganz neues Thema. Da müssen wir uns intensiv einarbeiten. Vor zehn Jahren habe ich mich in meinem eigenen Fachgebiet gut ausgekannt. Heute habe ich einen viel breiteren Horizont."
Ein Schwerpunkt der AKTIVSENIOREN ist die ehrenamtliche Existenzgründungsberatung. In vielen Sitzungen entwickeln sie mit ihren Klienten Geschäftsmodelle, überprüfen und analysieren immer wieder, ob das Angebot zu den Kunden passt oder die Kunden zum Angebot: „Viele Ideen zu haben, ist toll, aber es muss auch Geld dabei rumkommen", betont Heiß. Ungefähr 600 bis 700 Gründungen betreuen die AKTIVSENIOREN jährlich. Daraus entwickeln sich oftmals lange, vertrauensvolle Beziehungen zu den Klienten. Ein weiteres Handlungsfeld ist die Unternehmensnachfolge. „Es gibt rund 24.000 Betriebe in Bayern, in denen die Unternehmer älter als 65 sind. Den eigenen Betrieb loszulassen, die Übergabe zu regeln – das ist für viele Unternehmer nicht einfach. Hier haben wir mit unseren grauen Haaren oftmals eine sensiblere Herangehensweise, wenn wir den Übergabeprozess mitbegleiten. Wir kennen den Blickwinkel des Übergebers und die Unternehmer fühlen sich bei uns verstanden."
Senioren und Studenten als virtuelle Firmengründer
Besonders spannend findet Heiß die generationenübergreifenden Projekte, etwa wenn die AKTIVSENIOREN Mittelschülern helfen, den Übergang von der Schule in den Beruf zu schaffen: „Wir machen Bewerbungstrainings, zeigen Absolventen, wie man eine Firma gründet oder Businesspläne macht." Auch an den Hochschulen oder in internationalen Projekten sind die AKTIVSENIOREN tätig – und gründen mit Studenten gemeinsam virtuelle Unternehmen. „Es ist toll, das Engagement der Studenten zu erleben und es macht Freude, dass wir sie dabei unterstützen können."
Welche Unterschiede im heutigen Berufsleben erlebt er im Gegensatz zu früher? „Natürlich gab es früher genauso wie heute berufliche Anspannung. Ich selbst war viel unterwegs und habe meine Kinder nicht so oft gesehen, wie ich es mir gewünscht hätte. Der große Unterschied: Damals gab es keine befristeten Arbeitsverhältnisse, allein der Name war völlig unbekannt. Heute ist dies anders und so ist es schwieriger geworden, die Zukunft zu planen."
Heiß erlebt häufig Menschen, die im Zenit ihres Lebens stehen und nach einer aufreibenden Karriere in Großkonzernen neue berufliche Orientierung suchen. Viele möchten eigene, selbstbestimmte Wege gehen. Bei allem beruflichen Engagement rät Heiß zu Entspannungsphasen – auch im Gespräch mit Frau Hensel: „Wenn ich Ihren Businessplan lese, da steht schon wieder sehr viel drin. Zweifelsohne tolle Sachen, aber da müsste man ehrlich gesagt zwei oder drei Vanessa Hensels haben, die das alles so umsetzen. Da sollten Sie noch einiges eindampfen oder kombinieren, um sich zu entlasten."
Vorbild Generationen-Team
Hensel schätzt diese offene, ehrliche Beratung und die Erfahrung ihres Ansprechpartners: „Herr Heiß hat Lebenserfahrung, weiß sowohl, wie es in Großkonzernen läuft, bringt aber auch den Background als Gründer mit. Die AKTIV-
SENIOREN müssen keinem mehr etwas beweisen, das macht die besondere Beratungssituation aus."
Eine Zusammenarbeit zwischen Jung und Alt im aktiven Arbeitsleben – das können sich beide sehr gut vorstellen. Hier mangelt es noch an Vorbildern. Doch was im Ehrenamt funktioniert, könnte auch in Unternehmen Schule machen, sind sich beide sicher. Dazu braucht es Chefs, die diesen fruchtbaren Austausch zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern in ihren Teams bewusst fördern.
Heiß liebt seine Arbeit bei den AKTIVSENIOREN. „Wenn die Leute hören, wo ich mich engagiere, denken die meisten, wir radeln um den Ammersee, tanzen oder stricken Socken zusammen", lacht er. Dann sage ich „Wir arbeiten nicht mit Senioren, sondern mit jungen Leuten. Und das ist ein großer Unterschied."