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Gesundheitsprävention im Alltag
"Wir wünschen uns einen Kneipp-Hype"
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Stress muss nicht immer etwas Schlechtes sein. Wenn er aber überhandnimmt, kann er zu den verschiedensten Symptomen führen – von Erschöpfung bis hin zu erhöhtem Blutdruck. Auf der Suche nach mehr Balance kann Sebastian Kneipp mit seiner Fünf-Elemente-Lehre erstaunlich aktuelle Antworten geben – und helfen.

Jeder Mensch hat Stress – egal ob im Beruf oder im Privatleben. Dabei muss Stress nicht immer schädlich sein: In Maßen kann er beispielsweise zu mehr Leistung anspornen. Problematisch wird es erst, wenn Phasen der Anspannung überwiegen und der Körper keine Möglichkeit mehr hat, in den Ruhezustand zurückzukehren. Die Folgen sind häufig Nervosität, Reizbarkeit, Erschöpfung oder Schlafstörungen. Aber es können auch ernste Erkrankungen entstehen. 

Wer sich dann auf die Suche nach mehr Entspannung macht, findet ein breites Angebot: Autogenes Training, Meditation, Yoga, Progressive Muskelentspannung. Dazu empfehlen Experten, gesunde Rituale zu entwickeln: Also etwa immer zur selben Zeit ins Bett zu gehen, keine Bildschirmzeit eine Stunde vor dem Schlafengehen, Prioritäten setzen und natürlich Bewegung. Auch der Bayerische Präventionsplan setzt – wie der Name schon sagt – auf Prävention in jedem Lebensalter und in jedem Lebensbereich: von der gesunden Ernährung in der Kita bis hin zur Zahngesundheit im Alter. „Wir haben hier seit 2015 sehr viel erreicht“, sagt Bernhard Seidenath, Vorsitzender des Arbeitskreises für Gesundheit und Pflege der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. „Wir leben in Zeiten von Fachkräftemangel und müssen sehen, dass die Arbeitnehmer gesund bleiben.“ 

Aus dem Wunsch vieler Menschen nach mehr Gleichgewicht ist längst auch ein erfolgreiches Business geworden: Wellness boomt, und auch die großen ganzheitlichen Naturverfahren wie Ayurveda oder die Traditionelle Chinesische Medizin finden hierzulande immer mehr Anhänger. Dass es daneben auch ein europäisches Verfahren gibt, das den Menschen in seiner Gesamtheit in den Fokus rückt, ist dagegen weniger bekannt. Kneipp – doch ist das nicht nur kaltes Wasser? 

Mehr als nur Wassertreten

„Wir werden immer zu sehr auf das kalte Wasser reduziert, das Unangenehme“, erzählt Karin Lüpke, Leiterin des Sebastianeums in Bad Wörishofen. Das Kurhaus wurde einst von Sebastian Kneipp Ende des 19. Jahrhunderts gegründet. Heute ist es eine moderne Präventions- und Rehabilitationseinrichtung, aber die Verbindung von Tradition und Moderne ist überall deutlich zu spüren. Etwa im Sprechzimmer Kneipps, das mit den Stuckverzierungen an der Decke und den alten Gemälden den Geist der früheren Tage atmet; oder in der barocken Hauskapelle. Im Sebastianeum können die Kurgäste eine Kneipp-Therapie in all ihren Facetten erleben. Und das ist weit mehr als das bekannte Wassertreten.

Nach Bad Wörishofen kommen Menschen, die präventiv etwas für ihre Gesundheit tun wollen, aber die meisten haben bereits gravierende Beschwerden: Rückenprobleme, Bluthockdruck, manche leiden auch an den Folgen einer Corona-Erkrankung. Dem medizinischen Leiter Joachim Bohmhammel ist dabei besonders wichtig, den Menschen an die Hand zu geben, was im Körper passiert und welche Reaktionsmechanismen durch die Therapie ausgelöst werden. Die Anamnese geht weit über die Symptome hinaus: Der Patient wird nach seinem Beruf gefragt, wie häufig er sich bewegt, was er isst, aber auch nach seiner Lebensphilosophie. „Oft haben die Patienten bereits während der Behandlung Erkenntnisse. Ein Lendenwirbelproblem konnte zum Beispiel auf einen Skiunfall zurückzuführt werden, der schon Jahre her war. So betrachten wir den Menschen und so kommen wir zum Ziel.“ 

Blutdrucksenker nach 12 Tagen reduziert

Die Anwendung selbst ist meist kurz.„Der Körper mag es am Liebsten, wenn wir punktuell Reize setzen“, so Bohmhammel. „Das Wasser trainiert die Arterien so, dass der Kreislauf positiv beeinflusst wird. Dieser steuert wiederum die Hormone, die sich so positiv auf den Organismus auswirken.“ Durch Ernährung, Kraft- und Ausdauertraining kann ebenfalls noch feingesteuert werden. Etwa am zwölften Tag könnten bei vielen Patienten die Blutdruckmedikamente reduziert werden. Für die meisten beginnt allerdings dann die Herausforderung dranzubleiben, weiterhin Sport zu machen, die Güsse regelmäßig zu praktizieren – auch zu Hause. „Es ist natürlich langfristig einfacher, den Blutdrucksenker zu nehmen. Die Disziplin ist oft das Problem.“



Kräfte des Körpers mobilisieren

Den Menschen als Ganzes zu betrachten, das liegt der Kneippschen Philosophie zugrunde. „In unserem medizinischen System werden heutzutage häufig nur die Symptome behandelt, nicht die Ursache“, beklagt Joachim Bohmhammel. Alleine in der Hydrotherapie gibt es insgesamt 120 Anwendungsmöglichkeiten. Etwa den Knieguss, der bei Schlafstörungen helfen kann und die Abwehrkräfte stärkt, belebende Waschungen oder Wickel. Die weniger bekannten, vier weiteren Elemente der Therapie sind Kräuter, die die gesunderhaltenden Kräfte des Körpers mobilisieren, im Essen oder als Zusatz bei den Anwendungen, sowie Ausgewogenheit bei der Ernährung, Balance durch Bewegung und die „Ordnung“ – hier werden Achtsamkeit und Resilienz trainiert. Wer nicht möchte, muss also nicht in neun Grad kaltes Wasser springen, so wie es einst Sebastian Kneipp in der Donau gemacht hat. 

 

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Das Sebastianeum in Bad Wörishofen
@Sebastianeum Bad Wörishofen

Die Diagnose Tuberkulose wäre wohl für den damals 27-jährigen Kneipp das Todesurteil gewesen, hätte er nicht während des Studiums in München ein Buch über die Heilwirkung von Wasser entdeckt. Mit Bädern in der eiskalten Donau bei Dillingen, Halbbädern und Güssen heilte er sich nach und nach selbst und entwickelte eine ganzheitliche Therapie. In seinen Anfängen wurde er stark kritisiert und musste viel Gegenwind aushalten. Doch obwohl er von vielen als „Kurpfuscher“ bezeichnet wurde, kamen immer mehr Hilfesuchende nach Bad Wörishofen. „Die Menschen, die ihm wichtig waren, haben ihm Kraft gegeben“, erzählt Karin Lüpke. „Er hat da geheilt, wo die Schulmedizin aufgegeben hat. Er war seiner Zeit unglaublich voraus.“

Kneipp-Hype blieb bislang aus 

Da immer mehr Menschen zu ihm kamen, wurde ihm geraten, Bücher zu schreiben. Das führte allerdings dazu, dass noch mehr Menschen bei ihm Hilfe suchten. Tausende hörten bei seinen Ansprachen vor der Tür zu. Die Kritik an seiner Person brach zeitlebens nicht ab, doch „obwohl es heftig war, was er aushalten musste, muss er seine Gabe tief in sich gespürt haben. Ich glaube, er hat sich als Werkzeug gesehen, das seinen Auftrag erkannt hat“, erzählt Karin Lüpke. Den eigentlichen Durchbruch brachte dann sein Besuch bei Papst Leo XIII. in Rom, den er behandelte. Danach wurde er in ganz Europa bekannt, seine Bücher wurden in 14 Sprachen übersetzt. 

Doch obwohl Kneipp in Deutschland ein Begriff ist und wohl jeder schon einmal eine der zahlreichen Wassertretanlagen durchwatet hat, blieb der „Kneipp-Hype“ bislang aus. Um etwas für sich zu tun, buchen eben viele ein Wellness-Retreat mit Luxus-Faktor. „Das mag gut für die Seele sein, ist aber in seiner Wirkung in keiner Weise mit einer Kneipp-Kur vergleichbar“, sagt Bohmhammel. „Kneipp hat nichts mit Wellness zu tun.“

Auf Wärme muss immer etwas Kühles folgen 

Abends nach der Arbeit nach Hause, auf die Couch und dann den Fernseher an. „Das macht auf Dauer krank“, weiß der Medizin-Experte. Dabei ist es ganz einfach, Kneipp in seinen Alltag zu integrieren. Sitzt man tagsüber überwiegend und ist angespannt, ist es wichtig, sich abends noch ausreichend zu bewegen. Auch wer denkt, sich mit einem Salat zum Abendbrot etwas Gutes zu tun, sollte eher auf Gedünstetes umstellen. „Rohes am Abend zu essen tut uns nicht gut. Der Körper kann sich bei Gedünstetem viel besser regulieren, sonst verbrauchen wir extrem viel Energie.“ Auch das beliebte warme Bad am Abend hilft nur bedingt. Man schlafe danach zwar super ein, aber nach zwei bis drei Stunden fängt der Körper an, sich zu regulieren. Im Bett wird es kühler, der Blutdruck steigt und der Körper schläft unruhiger. Ganz anders, wenn man danach einen Knie- oder Schenkelguss macht. „Auf etwas Warmes muss immer etwas Kühles oder Frisches folgen.“

Die Lehre von Kneipp ist komplex – und sie erfolgreich in die Zukunft zu führen, ist die große Herausforderung, vor der auch das Sebastianeum in Bad Wörishofen steht. „Wir haben hier einen riesigen Schatz und den Auftrag, dieses unglaubliche Erbe weiterzugeben“, sagt Karin Lüpke. Entscheidend für das Kurhaus wird wohl in den nächsten Jahren sein, die präventiven Effekte von Kneipp auch einem jüngeren Publikum zu vermitteln. Derzeit sind die Gäste in Bad Wörishofen im Schnitt 60 Jahre alt. Und wenn Kneipp jetzt hier wäre, was würde er sagen? „Er würde sagen: Wie dumm seid ihr eigentlich, es nicht zu tun, um gesund zu bleiben“, lacht Karin Lüpke. „Wenn er hier wäre, würde ich wahrscheinlich an ihm kleben, um von ihm zu lernen, wie man auch die Zeiten der Zweifel aushält.“ 

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Kneipp in den Alltag zu integrieren ist leicht - zum Beispiel mit einem Fußbad.
@Sebastianeum Bad Wörishofen

Buchtipp: Natürlich gesund mit Kneipp, Robert, Schleinkofer, German M., Trias Verlag  Bachmann

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