Artikel "Stadt und Land sind ein Gesamtraum mit unterschiedlichen Ausprägungen"
Interview
"Stadt und Land sind ein Gesamtraum mit unterschiedlichen Ausprägungen."
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Metropolen und ländliche Räume werden in der Debatte oftmals als Gegensätze etabliert. Hier der moderne urbane Bereich, dort die ruhigen, mitunter auch etwas rückständigen ländlichen Regionen. Das ist falsch, findet Professor Mark Michaeli. Er ist Lehrstuhlinhaber für Nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land an der Technischen Universität München (TUM). Im Gespräch mit der HERZKAMMER zeigt er Wege auf, wie Stadt und Land gemeinsam auch in Zukunft voneinander profitieren können und welche Herausforderungen die Politik in Bayern noch besser adressieren sollte.

Herr Professor Michaeli, es wird oft von einem Gegensatz zwischen ländlichem Raum und Metropolregionen gesprochen. Teilen Sie dies? 

Der Begriff des Gegensatzes, an dem muss ich mich jetzt ein bisschen reiben, weil es ist eigentlich kein Gegensatz, sondern es sind sozusagen unterschiedliche Charakteristiken von zwei Teilräumen, die aber in wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Prozessen unglaublich stark miteinander verklammert sind. Das heißt, der ländliche Raum tut sehr viel für den Wohlstand und das gute Leben in den Städten, aber in die andere Richtung ist das genauso. Insofern kann man eigentlich nicht von einem Gegensatzpaar sprechen, sondern muss man von einem Gesamtraum reden, der unterschiedliche Ausprägungen hat. 

Der Wunsch nach mehr Mitbestimmung ist in der Bevölkerung viel ausgeprägter als früher. Wir erleben neue, spannende, teils sehr laute Akteure. Welche Akteure werden zukünftig eine größere Rolle spielen, als sie es vielleicht heute tun?

Das ist eine schwierige Frage, aber ich teile die Einschätzung, dass wir in der Tat eine andere Diskussionskultur haben, die sehr viel auch mit Selbstbeauftragung zu tun hat und auch mit sehr lautstarker Einmischung, die manchmal sogar auch die Grenzen der demokratischen Prozesse infrage stellt. Das erleben wir auch hier an der Universität und müssen da auch wirklich sehr aufpassen und sagen, lasst uns mal an die Regeln der demokratischen Entscheidungsfindung denken.



Warum glauben wir aber, dass diese Stimmen lauter werden? Weil es vielen nicht mehr genügt, sich nur darauf zu besinnen, was wir momentan haben. In diesen ganzen Krisensituationen ist es wichtiger denn je, sich zu orientieren. Wohin wollen wir eigentlich gehen? Wie kann man mitgestalten? Und wenn das gemeinsam erarbeitete Ziel dann stimmt, die Mittel plausibel erscheinen, dann sind wir aber auch durchaus bereit, gewisse Einschränkungen hinzunehmen.

Es gibt im Städtebau das Konzept der 15-Minuten-Stadt.*) Glauben Sie, dass wir im ländlichen Raum über Instrumente im Bereich Digitalisierung, im Bereich interkommunaler Zusammenarbeit und durch Schwerpunktzentren mit angeschlossenen Mobilitätsangeboten einen Weg beschreiten könnten, der uns helfen kann? Würden Sie eher sagen, man sollte sich in eher ländlich geprägten Regionen von solchen Ideen grundsätzlich lösen?



Also wovon man sich grundsätzlich lösen sollte, glaube ich, ist diese Idee, dass man eine solche Flächenversorgung über das System der zentralen Orte auf die ganze Fläche ausdehnen kann. Warum sollte man sich davon trennen? Weil man aus dieser Sichtweise immer nur die Anbieter-Seite im Kopf hat und nicht die Nachfrage-Seite. Das haben wir in einer Studie zur Alltagsversorgung in Bayern mal versucht: Wir schauen nicht, ob in einer Gemeinde ein Laden ist, sondern wir schauen, ob alle Personen, die in der Gemeinde wohnen, diesen Laden erreichen können. Und es wird so sein, dass wir natürlich nicht allen Personen eine 15-Minuten-Zugänglichkeit arrangieren können, wenn wir dann nicht auch auf Instrumente wie Digitalisierung zugreifen und sagen, bestimmte Services werden vereinfacht. Nichtsdestotrotz müssen wir aber auch beachten, dass man insbesondere soziale Prozesse nicht digitalisieren kann und dass wir deswegen schon auch ein Netzwerk von diesen Orten der sozialen Begegnung, der sozialen Interaktion erhalten, weil sonst die Gesellschaft einfach auseinanderfällt. Und da sind vielleicht auch neue Lösungen der Mobilität bzw. der Mobilitäts-Bereitstellung wichtig. 

Prof. Dr. Mark Michaeli
Prof. Dr. Mark Michaeli arbeitet seit 1995 in den Bereichen Architektur und Städtebau. Er forschte und lehrte an der ETH Zürich (2001–10), in St. Gallen (2009–16) und als wissenschaftlicher Koordinator am SEC – Future Cities Laboratory, Singapur (2009–11). 2010 wurde er an die TUM berufen, wo er die interdisziplinären Netzwerke mobility@tum und TUM.stadt initiierte und seit 2016 Studiendekan seiner Fakultät ist. Er war an internationalen Projekten wie Netzstadt und Klimawandel und Urbane Schweiz 2050 beteiligt, sowie an der Konzeption europäischer Initiativen wie KIC Climate Change und Horizon 2020. Er ist international als wissenschaftlicher Berater und Gutachter tätig und als wissenschaftlicher Sekretär der Akademie für Ländlichen Raum (ALR).
@Prof. Mark

Was ist Ihr Verständnis von Mobilität von heute?

Mobilität bedeutet erstmal Zugänglichkeit zu gewissen Dingen. Also vielleicht kommt auch eine Serviceleistung an manchen Stellen eher zu mir, beziehungsweise vielleicht kann ich sie auch ortsungebunden abrufen. Gerade im öffentlichen Verkehr ist es so, dass man mit dem  Angebot sehr, sehr stark die Nachfrage gestalten kann. Beispielsweise habe ich selbst seit letztem Jahr ein sehr leichtes E-Bike – und muss sagen, seitdem fahre ich viel größere Distanzen, nutze das Bike jetzt auch kombiniert mit dem Öffentlichen Verkehr bei Terminen auf dem Land. Die schwierige „letzte Meile“ ist plötzlich häufig kein Problem mehr. Vielleicht muss man viel konsequenter über multimodale Modelle  der Bereitstellung nachdenken, wie wir sie heute vielleicht noch gar nicht kennen. Aber: Es werden auch in Zukunft natürlich Orte in Bayern verbleiben, Mobilitätsbedarfe entstehen, wo dieses Modell nicht funktioniert, daher braucht man differenzierte Lösungen.

Wie schaffen wir für einen vernünftigen Umgang mit den gegebenen Ressourcen den Umstieg in der Energieversorgung? Sehen Sie eine Möglichkeit, insbesondere auch im städtischen Bereich z. B. über Stadtwerke neue Prozesse ansteuern zu können?

Ja, also jetzt muss man nicht denken, dass die Stadtwerke da nicht tätig sind. Und es gibt natürlich auch Anschlusspflichten und Ähnliches – also Anschlusspflichten an städtische Versorgungssysteme, die regenerative Quellen für Strom und Wärme in Neubaugebieten zum Standard machen. Die Frage ist, wie kann man das durchsetzen? Das kann ich immer nur dann durchsetzen, wenn es irgendwie eine genehmigungspflichtige Bautätigkeit in einem Gebäude gibt, mit der ich neue Standards einfordern kann. Es ist aber natürlich so, dass diese Möglichkeit zur dezentralen Wärme- oder auch Stromgewinnung im ländlichen Raum nicht so gegeben ist. Das heißt, Städte können ihre benötigte Energie nicht selbst erzeugen, insbesondere da dort Konzentrationen von Industrie sind oder beispielsweise unsere Versuchsanlagen der Universität unglaublich viel Energie brauchen. Und dann ist die Frage, wo erzeugen wir diese? In diesem Zusammenhang entsteht natürlich wieder so ein typischer Stadt-Land-Konflikt. Muss jetzt vom Land mit regenerativen Energien aus Wind, aus Solar und so weiter der Energieverbrauch in der Stadt gedeckt werden? Ja. Man muss es so sagen: Ja, wir müssen uns halt einfach überlegen, wie wir das so hinkriegen, dass man das im ländlichen Raum nicht nur als ein Verlustgeschäft wahrnimmt. Besser wäre zu sagen, dass der Wohlstand, der durch eine solche Energieproduktion auch erzeugt werden kann, im ländlichen Raum bleibt. 

Was ist für Sie die größte Herausforderung, die bisher noch nicht oder viel zu wenig von der Politik adressiert wird?

Wenn wir über die zukünftige Entwicklung reden, reden wir häufig über den Siedlungsraum mit seinen Infrastrukturen, Straßen, Kraftwerken und was es dafür braucht. Ich glaube, vor dem Hintergrund der ökologischen Herausforderungen, die wir heute haben – ob das Artenvielfalt  ist, ob das die Produktion von gesunden Nahrungsmitteln ist, vielleicht auch die Herstellung von Biogrundstoffen für die Industrie, die ja in der Zukunft hoffentlich auch noch weiter wichtig ist – werden wir uns der Frage stellen, wie der Gesamtraum insgesamt funktioniert, und müssen uns auch dem Nicht-Siedlungsraum widmen. Wir werden uns mehr darüber unterhalten müssen, welche Formen der Landbewirtschaftung in Zukunft tragfähig sind, indem sie einen ökologischen Überschuss leisten, der natürlich auch von den Städten konsumiert wird. Vielleicht  erfordert das auch neue Geschäftsmodelle für die Agrarbewirtschaftung, für die Forstbewirtschaftung und Ähnliches. Wie können wir sozusagen die ökologischen Gewinne mit wirtschaftlichen Modellen im ländlichen Raum so verbinden, dass wir am Ende ein besseres  Zusammenspiel von Nicht-Siedlungsraum und Siedlungsraum haben. Darauf achten wir mit unseren Entwicklungsperspektiven für Bayern, wie sie jetzt gerade eben zum Beispiel im Landesentwicklungsprogramm festgelegt werden können, noch zu wenig. Dort reden wir noch allzu stark über die schwarzen Linien, die wir auf eine weiße Karte von Bayern zeichnen und die weiße Karte ist dann der ländliche Raum, der  Nicht-Siedlungsraum. Nein, so ist das nicht, der hat auch eine Farbe und da müssen wir uns immer stärker auch dazu bekennen, was der in Zukunft eigentlich können soll und wie wir den ländlichen Raum auch unterstützen, damit er das auch kann. 

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