Teaserbild zum Beitrag "Smart und unabhängig im Alter"
Projekt GEOlexa
Smart und unabhängig im Alter
Lesezeit: 5 Minuten

Eine Push-Nachricht checken, in die Wetter-App schauen, mit Freunden chatten – für die meisten Menschen ist das Smartphone fester Bestandteil ihres Alltags, wenn nicht sogar gefühlt überlebensnotwendig. Für viele Senioren sind digitale Technologien dagegen ein Buch mit sieben Siegeln: Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2021 nutzt etwa jeder Zweite der über 65-Jährigen kein Smartphone. Je älter die Befragten, desto mehr steigt die Quote der Verweigerer: Bei den über 75-Jährigen greift nur noch jeder Vierte regelmäßig zum Computertelefon. 

Wohnen die Kinder oder die nächsten Angehörigen weit weg, können gerade eine plötzliche Pflegebedürftigkeit oder Krankheit massive Einschränkungen der  Selbstständigkeit mit sich bringen – und Einsamkeit. Hier können digitale Technologien unterstützen. Aber: „Die Digitalisierung kommt bei einem großen Teil der älteren Generation nicht an“, erklärt Jochen Keßler-Rosa. Der ehemalige geschäftsführende  Vorstand des Diakonischen Werks in Schweinfurt und Pfarrer hat in Gerolzhofen  maßgeblich das Projekt „GEOlexa“ ins Leben gerufen: Eine App, eine Homepage und eine zentrale Plattform, über die Menschen in einer bestimmten Region Dienstleistungen buchen, Termine vereinbaren, an Veranstaltungen teilnehmen können und vieles mehr. Momentan befindet sich das Projekt in der Konzeptionsphase.  



„Wir wollen nichts entwickeln, was hier keiner braucht.“ 



Keßler-Rosa ist 66 Jahre alt und nach 30 Jahren an der Spitze der Diakonie nun im „Unruhestand“. Sein Smartphone ist für ihn sein ständiger Begleiter, er spricht von „design thinking“, E-Mails und SMS werden umgehend beantwortet. Er gehört zu den digitalen 50 Prozent. Vor Kurzem hat er Interviews mit Seniorinnen und Senioren aus  seinem Landkreis geführt, begleitet von einer Gerontologin und weiteren Fachleuten. Noch bevor die App und weitere Anwendungen programmiert werden, wollen die  Beteiligten der Frage auf den Grund gehen, wo die Bedürfnisse der Menschen  tatsächlich liegen, welche Ängste sie haben, was ihnen wichtig ist. „Manche finden unsere Idee super, andere brauchen noch mehr Vertrauen“, erzählt Keßler-Rosa, der die App vor allem ein „sozialarbeiterisches Projekt“ nennt. „Das Schamgefühl der Menschen ist eine große Herausforderung. Paten, mit denen die älteren Menschen zusammenarbeiten, können hier Barrieren abbauen. Und wir machen die Seniorinnen und Senioren zu Beteiligten, hören genau hin, was sie benötigen, denn wir wollen hier nichts entwickeln, was hier keiner braucht.“

Die Idee, dass digitale Technologien älteren Menschen helfen können, ist nicht neu. „Aber meiner Kenntnis nach gehen alle diese Projekte davon aus, dass die älteren  Menschen dann auch ‚irgendwie‘ motiviert sind und lernen, damit umzugehen“, erklärt Keßler-Rosa. Eine Selbstverständlichkeit, die seiner Meinung nach nicht vorausgesetzt werden kann. Er will die Menschen, die die Technologien dann nutzen sollen, deshalb von Anfang an mitnehmen. Aus diesem Grund arbeitet die Projektgruppe mit „design thinking“. Vereinfacht gesagt geht es darum, so genau wie möglich zu ermitteln, wo die  Nutzerinnen und Nutzer stehen und welche Bedürfnisse oder Ängste sie haben. Gerade ist ein erster Dummy in der Entwicklung, der bald der Zielgruppe präsentiert werden soll. Im Entstehungsprozess kommen immer wieder neue Fragen auf: Sollen zum Beispiel die Angehörigen stärker mit eingebunden werden, die sich dann ebenfalls mit den Technologien befassen und für Mutter oder Vater erster Ansprechpartner sind? Ein weiteres Thema für einen der Workshops, zu denen sich die engagierte Projektgruppe regelmäßig trifft. 



„Smart home“ konkret erfahrbar machen 

Neben Dienstleistungen soll die zentrale Funktion der App sein, dass Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit haben, einfach in Kontakt mit anderen Usern und ihren Verwandten zu treten. Wie der Lieferdienst funktioniert, welche Kontaktmöglichkeiten es über Social Media gibt und wo ich das Gemeindefest oder eine Sportveranstaltung online mitverfolgen kann – das müsse vor allem älteren Menschen vertrauensvoll erklärt und nähergebracht werden, so Keßler-Rosa. „Rein technische Lösungen greifen hier zu kurz.“ Hilfreich sei hier, dass alle zusammenhelfen. Darüber hinaus soll die App auch ein Tool haben, über das Termine verwaltet oder Internet-Radio gehört werden kann, es  sollen Termine im Quartier veröffentlicht und über die App soll auch die Wohnung oder das Haus gesteuert werden können, etwa Lichtschalter, Steckdosen oder Fenster. Auch für den Notfall soll es Sensoren geben, die Abweichungen erkennen und so einen Notruf auslösen können. 

Durch die Projektgruppe der Diakonie werden weitere Vereine und Nachbarschaftshilfen, die Kirche und die Tafel einbezogen. Unterstützung kommt unter anderem auch vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege sowie von der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Um den älteren Menschen sämtliche Funktionen näherzubringen, denken die Initiatoren auch über die Einrichtung einer Modellwohnung nach, um dort „Smart Home“ ganz konkret erfahrbar zu machen – über eine Förderung der EU. Kooperationen sind entscheidend – auch bei den Serviceleistungen, die die App ermöglichen soll. Aktuell stehen bereits eine Regionalbank, ein Wäschereibetrieb und ein regionaler Lebensmittelversorger als Partner zur Verfügung. In Zukunft sollen auch Getränkehändler, Sozialstationen, Reinigungsdienste, Geldinstitute, Apotheker, Friseure und Fußpfleger sowie Physio- und Ergotherapeuten per Klick gebucht werden können.  

Bild zum Beitrag "Smart und unabhängig im Alter"
Jochen Keßler-Rosa, ehemaliger geschäftsführender Vorstand des Diakonischen Werks in Schweinfurt und Pfarrer, hat in Gerolzhofen maßgeblich das Projekt „GEOlexa“ ins Leben gerufen.
@Susanne Keßler-Rosa

Datenschutz und Handysprechstunden 

„Quartiersarbeit“ nennt Jochen Keßler-Rosa das Treffen von interessierten Bürgern, die sich bereits regelmäßig austauschen. Der im Rahmen des Städtebauprogramms „Soziale Stadt“ angedachte Verein plant Infoveranstaltungen, bei denen die neuen digitalen Möglichkeiten erklärt werden sollen, aber auch Fragen des Datenschutzes angesprochen werden können. Und dann gibt es da noch das Medienmobil – ein kleiner Transporter voller Technik. Die Diakonie-Mitarbeiter bieten im Landkreis Schweinfurt  Handysprechstunden an, schulen die Seniorinnen und Senioren in Sachen Smartphone, Laptop und Internet. Wer die mobile Nachhilfe verpasst hat, soll dem Mobil demnächst auch über Youtube im eigenen Kanal folgen können. 

Für einen langfristigen Erfolg des Projekts wünscht sich Jochen Keßler-Rosa, dass sich nicht erst die Menschen mit den Technologien beschäftigen, die bereits Hilfe brauchen, sondern die heute 70-Jährigen, die noch mitten im Leben stehen. Damit Berührungsängste erst gar nicht entstehen, kann es sinnvoll sein, wenn ältere Menschen lernen, wie sie Kontakte nicht nur im wahren Leben, sondern auch auf Social Media halten. Oder wie sie sich auch mal eine Pizza online bestellen oder an virtuellen Events der Gemeinde teilnehmen. Denn: „Der Mensch braucht beim Älterwerden keine schnellen Lösungen,  sondern etwas, wo er sich hineinleben kann.“ 

Bildquelle Header: Eva-Katalin - iStock-Photo.com