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Lehrherr Stephan Hagn
Man lernt nie aus
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Heinz Waldenmaier ist 67 Jahre und vermutlich Deutschlands ältester Lehrling. Nach Abschluss seiner Ausbildung in der Justizverwaltung war er 30 Jahre bei der Bundespolizei tätig. Jetzt macht er eine Ausbildung zum Metzger. Außerdem führt er mit seiner Frau seit 1978 am Tegernsee das Gästehaus „Anzengruber“ und das Garni-Hotel „Ludwig Thoma“ mit Ferienwohnungen und insgesamt 70 Betten. Heinz Waldenmaiers Lehrherr ist Stephan Hagn. Der 59-Jährige betreibt eine Metzgerei in Rottach-Egern. Er ist zugleich Koch und hat die Metzgerei seines Vaters 2015 wieder in Betrieb genommen.



Herzkammer: Es heißt ja „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Herr Waldenmaier, was haben Sie denn heute schon machen müssen?



Waldenmaier: Ich habe heute schon Rouladen gerollt, die Stephan vorbereitet hat.



Herzkammer: Sie duzen sich also. Wie ist das mit der Autorität? Normalerweise liegen zwischen Lehrherr und Lehrling doch  einige Jahre Unterschied. Bei Ihnen ist der Lehrling sogar der Ältere.



Hagn: Egal ob 17 oder 67 – wie jeder andere Lehrling auch bekommt der Heinz seine Aufgaben gezeigt. Dann darf er es selbstständig machen – und steht dabei natürlich unter Beobachtung (lacht). Bis sich die Arbeitsschritte eingespielt haben, braucht es natürlich seine Zeit. Es hat schon seinen Grund, warum die Ausbildung drei Jahre dauert.



Waldenmaier: Einerseits kennen wir uns schon lange Jahre – wir haben miteinander Fußball gespielt. Andererseits will ich keine Sonderbehandlung.



Herzkammer: Kürzlich ging durch die Medien, dass die Deutschen immer früher in Rente gehen. Sie, Herr Waldenmaier, sind genau den anderen Weg gegangen und haben nach Ihrer beruflichen Laufbahn, mit 67 Jahren, nochmal eine Ausbildung  begonnen. Was ist Ihr Antrieb?



Waldenmaier: Erstens fühle ich mich körperlich noch fit. Zweitens wollte ich mir bei der ganzen Diskussion um Biofleisch, Tierwohl und Co. mein eigenes Bild machen und sehen, wie die Prozesse und Produktionsschritte im Metzgerhandwerk wirklich ablaufen. Bisher habe ich den Schritt nicht bereut. In meiner bisherigen Tätigkeit bei der Justizverwaltung und bei der  Bundespolizei hatte ich vor allem mit Papier zu tun. Jetzt erfahre ich gerade am eigenen Leib, wie es ist, wenn man am Ende  eines Arbeitstages das Ergebnis der eigenen Arbeit in den Händen hat. Das ist eine tolle Erfahrung.



Herzkammer: Herr Hagn, was war Ihre erste Reaktion, als Herr Waldenmaier auf Sie zugekommen ist? 



Hagn: Erst habe ich gedacht: Der spinnt (beide lachen). Ich habe die Metzgerei meines Vaters 2015 wieder in Betrieb  genommen. Bisher haben mir mein verstorbener Bruder und meine Frau, die eigentlich Versicherungskauffrau ist, immer  geholfen. Und jetzt habe ich einen Lehrling.



Herzkammer: Und das in einem Handwerk, das immer mehr an Boden verliert. Was glauben Sie: Wird es 2030 noch Metzgereien wie Ihre geben?



Hagn: Ja, wenn sie unterstützt werden. Das betrifft die Politik genauso wie die Gesellschaft. Allein wir hier stellen selbst über 50 Wurstsorten her. Diese Vielfalt der kleinen Metzgereien können die großen Discounter gar nicht anbieten. Bei all den neuen Möglichkeiten, die Maschinen und die Digitalisierung mit sich bringen: Es ist wichtig, dass die Handwerkskunst nicht verloren geht.



Herzkammer: Dabei sind bei Ihnen, Herr Waldenmaier, nur noch knapp über zehn Metzger-Lehrlinge aus dem gesamten süd- ost-oberbayerischen Raum in der Berufsschulklasse. Geht denn die Handwerkskunst verloren? Woran liegt es – die Verdienstmöglichkeiten sind ja im Allgemeinen nicht schlecht?



Waldenmaier: Viele wollen diesen Beruf nicht mehr machen. Ich kann nur für das Metzgerhandwerk werben – auch wenn es  nicht für jeden etwas ist. Aber auch bei anderen Ausbildungsberufen wie den Bäckern gibt es einen Mangel an Nachwuchs. An der Image-Kampagne des Zentralverbands „Das Handwerk“, in der es heißt: „Das Schlimmste am Handwerk sind meine Akademiker-Eltern“, ist schon etwas dran. Viele Eltern achten sehr darauf, dass ihre Kinder einen Akademiker-Beruf einschlagen. Aber es braucht einfach beides: Akademiker und Handwerker. Ich kann nur an alle Schüler appellieren: Schaut euch die Handwerksberufe an!



Hagn: Wir brauchen gut ausgebildete Handwerker heute mehr denn je. Der Mangel ist in vielen Branchen heute schon stark  spürbar. Es wird oft auch unterschätzt, dass man als Handwerker nicht nur gute Verdienstmöglichkeiten hat, sondern einem nach einer Lehre heute auch ganz allgemein die Welt offen steht. Studium oder Auslandsaufenthalt – das geht alles! Auch im Ausland sind deutsche Handwerker gefragt wie nie.



Herzkammer: Wie schafft man es, mehr junge Menschen für einen Handwerksberuf zu motivieren?  



Hagn: Natürlich müssen zunächst die Arbeitsbedingungen und das Umfeld passen. Und sowohl Eltern als auch Schule müssten mehr auf die Vorzüge einer dualen Ausbildung im Handwerk hinweisen. 



Waldenmaier: Es bräuchte auch mehr Praktikumsmöglichkeiten in allen Schularten, um sich die verschiedenen Berufe  anzuschauen. 



Herzkammer: Wie hat sich eigentlich Ihre Einstellung zum Metzgerhandwerk, aber auch zu Fleisch und Wurst, durch Ihre Ausbildung geändert? 



Waldenmaier: Ich esse Wurst und Fleisch heute viel bewusster, weil ich mir jetzt besser vorstellen kann, wie das alles produziert wird und wie viel Arbeit drinsteckt. Wobei ich immer sage: Wir stellen kein Lebensmittel her, sondern verarbeiten verantwortungsbewusst Tiere zu einem „Mittel zum Leben“. Das trifft es in meinen Augen besser. 



Herzkammer: In der Berufsschule sind die meisten Mitschüler deutlich jünger. Gibt es Dinge, die Sie übernommen haben? Gibt es Dinge, die die Jugendlichen übernehmen?



Waldenmaier: Meine Kollegen in der Berufsschule sind zwischen 15 und 17 Jahre. Anfangs war schon Skepsis da, aber inzwischen bin ich voll akzeptiert. Ich bin in der Whatsapp-Gruppe und sie kommen mit Fragen zu mir. Das liegt auch  daran, dass ich absolut keine Sonderbehandlung möchte, nur weil ich älter bin. Heute ist es in vielerlei Hinsicht ein ganz anderes Lernen als zu meiner Schulzeit. Zum Beispiel der Umgang mit dem Laptop war für mich erst einmal neu. Da haben die Jungen schon einen Vorteil.



Herzkammer: Lernt man leichter, lernt man schwerer?



Waldenmaier: Klar habe ich früher leichter gelernt – gerade, was das Langzeitgedächtnis angeht.



Hagn: Aber der Heinz hat einen super Ehrgeiz! Er will lernen – und daher erfasst er vieles schneller als andere.



Herzkammer: Aber jetzt mal ehrlich: Wollen Sie die Ausbildung wirklich abschließen? 



Waldenmaier: Natürlich. Ich möchte mit 70 meinen Gesellenbrief bekommen – darauf lerne und arbeite ich hin, das ist mein Ziel! 

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Heinz Waldemaier hat mit 67 Jahren noch lange nicht genug und denkt noch nicht an Rente.
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