Beim Projekt ‚Agrarlandschaft Oberfranken – Zeitgemäße Lösungen für die Lebensgemeinschaft Rebhuhn’ der Ökologischen Bildungsstätte Wasserschloss Mitwitz sorgen die Datenerhebungen von Laienwissenschaftlern dafür, dass geeigneter Lebensraum für Rebhühner geschaffen werden kann. Bedingt durch die Veränderungen in der Agrarlandschaft gehört das Rebhuhn in Oberfranken mittlerweile zu den am meisten bedrohten Vogelarten.
Viel zu hören ist nicht. Annika Lange, Biologin und wissenschaftliche Leiterin des Projekts ,Agrarlandschaft Oberfranken‘, streckt den Arm in die Höhe – in der Hand ein kleines dunkelgrünes Kästchen, aus dem der charakteristisch schnalzend-schmetternde Balzruf eines Rebhuhn- Männchens dröhnt.
Einmal dreht sie sich mit der Klangattrappe um die eigene Achse. Dann heißt es warten. Zehn Sekunden. 20 Sekunden. Doch auch nach Sekunde 30 – nichts. Nur das Pfeifen des Windes, der ihr und den elf ehrenamtlichen Rebhuhn-Kartierern an diesem dämmernden Abend auf der Flur des Transekts 1 im oberfränkischen Steinach (Markt Mitwitz) um die Ohren pfeift, ist zu hören.
Die beste Zeit, um Rebhühner ausfindig zu machen, ist die Dämmerung. Nur zu dieser schutzbietenden Tageszeit im Frühjahr sind die Balzrufe des rotbraunen Fasanenvogels zu hören. Geht die Sonne unter, bleibt kaum eine halbe Stunde Zeit, bis zum völligen Einbruch der Dunkelheit. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Mehrere Kilometer müssen die Ehrenamtlichen mit der Klangattrappe abgehen, in der Hoffnung, Antwort aus dem Tierreich zu erhalten.
„Die Uhrzeit wäre perfekt“, sagt Annika Lange, während sie durch das Feld am Waldrand stapft. Pünktlich um 17.55 Uhr haben sich die Ehrenamtlichen zur Testkartierung eingefunden und lauschen gegen den Wind. Durch den grau marmorierten Himmel bricht nur noch schwaches Tageslicht. „Aber leider sind die Wetterbedingungen nicht ideal. Der Wind schluckt jedes Geräusch.“ Die Wissenschaftlerin weist die Gruppe der Ehrenamtlichen darauf hin, bei Kartierungsaktionen immer auch die Witterungssituation zu notieren – so könne sie bei der späteren Auswertung der erhobenen Daten deren Qualität mitberücksichtigen.
„Es braucht die Begeisterung für die Natur, um sie schützen zu wollen“
Seit 2018 gibt es das vom Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz geförderte Projekt ,Agrarlandschaft Oberfranken – zeitgemäße Lösungen für die Lebensgemeinschaft Rebhuhn‘. Bereits das zweite Jahr in Folge sind nun auch ehrenamtliche Laienwissenschaftler involviert, die ab Ende Februar mit Erfassungsbögen oder per Kartier-App durch ein ihnen zugewiesenes Areal in den Landkreisen Coburg, Kronach oder Lichtenfels ziehen und die Zahl der dort balzenden Rebhühner eruieren. Viele von ihnen haben bereits bei anderen Projekten der Ökologischen Bildungsstätte mitgewirkt. „Immer wieder haben wir aber auch neue Gesichter dabei“, freut sich Annika Lange und fügt hinzu, dass vor allem seit der Corona-Pandemie ein steigendes Interesse an Citizen Science und am Natur- und Umweltschutz allgemein zu beobachten sei.
„Ich möchte einfach meinen Teil zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen“, sagt beispielsweise Cäcilia Engelhardt. Die 17-jährige Abiturientin ist an diesem Tag das erste Mal mit von der Partie. Durch ihren Vater, mit dem sie seit der Kindheit Amphibienzäune errichtet, habe sie schon früh ihre Leidenschaft für den Naturschutz entdeckt.
Leidenschaft – diese Eigenschaft ist allen Anwesenden gemein, die sich an diesem Tag vor Beginn der Testkartierung in der Kutscherstube des Wasserschlosses Mitwitz eingefunden haben, wo Projektleiterin Annika Lange die wichtigsten Basics zur Kartier-Methodik an die Hand gibt. „Es braucht einfach die Begeisterung für die Natur, um sie schützen zu wollen.“
Durch das Rebhuhn-Projekt sollen neue Lebensräume für die bedrohte Art geschaffen werden: Vom ehemals häufigsten Vogel in Oberfranken habe sich der Bestand innerhalb der vergangenen 80 Jahre um über 80 Prozent reduziert. Hauptsächlich wegen der Veränderungen in der Agrarlandschaft, die den Vögeln nur mehr wenig Deckung vor Fressfeinden, wie dem Fuchs oder Greifvögeln, biete. Ziel des Projekts sei es daher, auf der rund 200 Quadratkilometer großen Gebietskulisse Blühflächen anzulegen, in deren Schutz die Rebhühner nicht nur ungestört brüten, sondern auch auf Nahrungssuche gehen können.
Experten und Laien – eine fruchtbare Beziehung
Neben der Leidenschaft und dem Interesse für die Natur, sollten die Laienwissenschaftler – bedingt durch die regelmäßigen Kartierungs- Streifzüge – auch Freude an der Bewegung an der frischen Luft haben. „Und natürlich muss auch die Methodik sitzen“, betont Lange. Die Kartierung kann in Papierform – per Erfassungsbogen – oder mit der App NaturaList erfolgen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Mit der Klangattrappe, die den Balzruf des Rebhuhn-Männchens simuliert, zieht man in die Natur und zählt die Rufe der antwortenden Rebhühner. „Wichtiger als die tatsächliche Sichtung von Rebhühnern ist das Hören der Rufe. Das ist ein Verhalten, das eindeutig auf Brut hinweist“, erläutert Annika Lange, als jäh das Schnarren eines Rebhuhns durch die Kutscherstube dröhnt. Gelächter bricht aus. Ein älterer Herr in Daunenweste tippt hastig auf dem rechteckigen Kästchen herum, das vor ihm auf dem Tisch liegt. „Jetzt doch noch nicht“, scherzt jemand aus der hinteren Sitzreihe.
Vom erfahrenen Jäger bis hin zur Hausfrau, Schülerin oder dem pensionierten Beamten ist die Gruppe der laienwissenschaftlichen Rebhuhn- Kartierer bunt durchmischt. „Ich habe 40 Jahre lang im behördlichen Naturschutz gearbeitet“, erklärt zum Beispiel Bernd Flieger. Er ist seit Jahren ehrenamtlich beim Landesbund für Vogelschutz engagiert und war bereits in diesem Rahmen an zahlreichen Monitoring-Projekten beteiligt. Jetzt, wo er in Rente ist, genießt er es, noch mehr Zeit für Schutzprojekte zu haben und dadurch auch „regelmäßig rauszukommen“. „Projekte mit Laienwissenschaftlern finde ich wahnsinnig wichtig“, sagt Flieger. „Es ist einfach ein toller Weg, die Leute zu interessieren, ihnen einen stärkeren Bezug zur Natur zu ermöglichen und die Chance zu haben, aktiv mitzuwirken.“
Den engen Schulterschluss zwischen professioneller Wissenschaft und Laienwissenschaft hält auch Biologin Annika Lange für essenziell – deshalb steht sie auch nach Abschluss der Datenerhebungen mit den Ehrenamtlichen in Kontakt, gibt Einblicke in das wissenschaftliche Vorgehen und informiert regelmäßig über die Ergebnisse, die sie aus den gewonnenen Daten zieht. „Citizen Science hat in unserem Fall nicht nur aus Umweltbildungsaspekten zahlreiche Vorteile. Es ist auch allgemein so, dass von Seiten der Ehrenamtlichen oft wertvoller kreativer Input kommt. Wie so oft, wenn viele kluge Köpfe zusammenarbeiten – die Wissenschaft liefert die Systematik, der Laie den unbefangenen Blick.
Vieles ist ohne Ehrenamtliche gar nicht zu schaffen
Außerdem sei allein aus praktischen Gründen die Zusammenarbeit mit Laien für die Wissenschaft ein unschätzbares Gut, erklärt die Projektleiterin: Datenerhebungen in solch großem Ausmaß wären ohne ehrenamtliche Helfer oft schlicht gar nicht möglich. „Wir erforschen über 200 Transekte. Durch die Ehrenamtlichen haben wir eine viel größere Reichweite, es können viel mehr Daten erhoben werden, als ein einzelner Forscher zeitlich und räumlich je schaffen würde“, so Annika Lange.
Dadurch könne man die Fortschritte des Projekts besser dokumentieren und auch mögliche Schwachstellen – zum Beispiel Löcher in der Population – frühzeitig ausfindig machen. Schön für die laienwissenschaftlichen Helfer sei auch, dass sich ihr Einsatz unmittelbar auswirke. „Das Rebhuhn ist eine sehr dankbare Art. Sind unsere Aktionen erfolgreich, legt es pro Jahr 15 bis 20 Eier, sodass sich der Bestand sehr rasch erholt“, erklärt die Biologin.
Die Spannung, wie es aktuell um das Rebhuhn in Oberfranken bestellt ist, ist schließlich fast spürbar, als sich die Gruppe der Ehrenamtlichen bei aufziehender Dämmerung auf den Weg macht. Unterwegs erklärt Lange den Ehrenamtlichen, wie genau die Klangattrappen zu bedienen sind. Zum Einsatz kommen sie an fest definierten Abspielpunkten, die sich alle jeweils etwa 200 Meter voneinander entfernt befinden. An einem von ihnen hält die Forschergruppe nach einem kurzen Fußmarsch inne.
Der Balzruf schallt aus dem dunkelgrünen Kästchen in Annika Langes emporgereckter Hand. Dann herrscht Stille. Nur der Wind tost unablässig.
„Nichts“, murmelt eine Frau mit blondem Kurzhaarschnitt und die Umstehenden schütteln wie zur Bestätigung mit dem Kopf. Neuer Versuch. Zweimal kann der Ton pro Abspielpunkt abgespielt werden – nach dem letzten Durchlauf wartet man allerdings nur zehn, anstatt 30 Sekunden. Wieder ist nichts zu hören. Nur das ferne Bellen eines Hundes dringt durch die Dämmerung über die Felder.
„Die Saison ist noch jung“, meint Biologin Lange schließlich und nickt den Kartierern ermunternd zu. „Es kann sein, dass die Rebhühner noch ein oder zwei Wochen brauchen, bis sie wirklich in Stimmung sind.“ Dann jedoch, erklärt Annika Lange, stünden die Chancen gut, die Rufe der rotbraunen Feldbewohner wahrzunehmen.
Die Laienwissenschaftler des Projekts „Lebensgemeinschaft Rebhuhn“ nicken. Ihre Vorfreude bleibt ungetrübt. Sie freuen sich – und werden wohl im März so manchen Spaziergang durch die oberfränkischen Fluren unternehmen.