Die Ansprüche von Beschäftigten und Arbeitgebern verändern sich. Flexibilität wird von beiden Seiten erwartet und eingefordert. Bildung und Digitalisierung eröffnen vielfältige neue Möglichkeiten.
Ein Foto von einem strahlenden jungen Mann, in der einen Hand ein Stock, in der anderen eine Milchkanne. „Im Sommer die Alm, im Winter Patienten versorgen“, ist in dem Facebook-Post zu lesen. Die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik im oberbayerischen Murnau wirbt mit diesem Angebot um neue Mitarbeiter. Der Post steht beispielhaft für Veränderungen in der Arbeitswelt.
Die Ansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Folgte früher nach einer Berufsausbildung die Zeit als Angestellter, nine to five, und ohne besondere Vorkommnisse bis zum Eintritt in die Rente, sind Lebensentwürfe heute deutlich vielfältiger. Arbeitsplätze fallen weg oder werden digitalisiert. Dadurch entstehen neben neuen Arbeitsmöglichkeiten auch neue Arbeitsanforderungen und in der Folge auch Notwendigkeiten zur Weiterbildung. Dieser Wandel ist schon länger spürbar. Er beschleunigt sich aber. War in den 1980er Jahren vor allem die Fertigung davon betroffen, ist es heute auch die Sachbearbeitung, wo beispielsweise Prozesse in Banken und Versicherungen automatisiert werden. Und sogar in Berufen wie der Pflege, wo die persönliche Anwesenheit am Arbeitsplatz dringend erforderlich ist, gibt es immer mehr Möglichkeiten, die Arbeit flexibel zu gestalten.
Was jeder mit Blick auf die eigene Biografie und den Vergleich mit den Biografien der Eltern und Großeltern feststellen kann, bestätigen auch die Untersuchungen der Bildungsforschung. Lebten die meisten Menschen bis in die 70er-Jahre hinein eine so genannte Normalbiografie – Ausbildungszeit in der Jugend, Berufstätigkeit und Familie, Ruhestand folgten einem geradlinigen Ablauf –, weichen mit dem Übergang in die Wissensgesellschaft immer mehr Biografien davon ab.
Das hat zweierlei Gründe: Da ist zum einen die eigene Lebensplanung. Zum anderen werden heute aber auch andere Erwartungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt. „Natürlich mussten auch frühere Generationen immer etwas dazulernen. Der Unterschied zu heute ist aber, dass Anforderungen kleinteiliger werden und die Veränderungen sich schneller vollziehen. Es reicht nicht mehr, einen Schulabschluss zu machen, und damit hat man alles gelernt. In vielen Berufsfeldern hat die Digitalisierung stark Einzug gehalten und damit auch zu großen Veränderungen geführt“, erklärt Cordula Artelt, Direktorin des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe und Lehrstuhlinhaberin am Lehrstuhl für Bildungsforschung im Längsschnitt an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
„Lebensbiografien und Qualifikationen werden heute immer stärker bausteinartig zusammengesetzt“, beschreibt Cordula Artelt die neuere Entwicklung. Dabei muss es aber nicht unbedingt ein Abschluss auf dem nächst höheren Bildungsniveau sein. Der Vergleich von Alterskohorten macht beispielsweise deutlich, dass insbesondere in den jüngeren Kohorten mehr Frauen und Männer die Fachhochschulreife nachholten. Insbesondere Frauen gehen demnach deutlich häufig diesen Weg. Wenngleich hier mittlerweile ein Plateau erreicht zu sein scheint und der Anteil der tertiären Bildung seit wenigen Jahren nicht mehr steigt.
Vor allem kleinere Zertifizierungen, Module und Kurse eröffnen vielfältige Möglichkeiten für Weiterbildungen. Der Trend, das nachzuholen, was man im ersten Anlauf nicht geschafft hat, habe für die Einzelnen aber auch wichtige Vorteile. „So können nicht optimal verlaufene Bildungsentwicklungen ausgeglichen werden“, sagt Cordula Artelt. Jedoch: Erst muss man überhaupt wissen, welche Möglichkeiten es gibt, und man muss sich bewusst darüber sein, was ein bestimmter Abschluss oder ein Zertifikat wert ist und ob sich dessen Erwerb überhaupt lohnt.
Ein Treiber dieser Entwicklung ist die Digitalisierung. „Die Bereitschaft zur Weiterbildung hat in dem Maße zugenommen, in dem auch die digitalen Angebote zugenommen haben“, erklärt Cordula Artelt. Digitale Weiterbildungsangebote böten ein niederschwelliges Niveau, das ermögliche einen großen Zulauf. Gab es auch vor Corona schon einen deutlichen Trend zu digitalen Bildungsangeboten, habe Corona als Katalysator gewirkt.
Die Weiterbildungserwartungen auf Seiten der Arbeitgeber und die Bereitschaft der Arbeitnehmer dazu sind nicht die einzigen Treiber für Veränderungen im Berufsleben. Immer mehr verschwimmen auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Das liegt insbesondere daran, dass die Digitalisierung neue Möglichkeiten schafft, Arbeitszeiten flexibel an die jeweiligen Vorstellungen und Erfordernisse anzupassen. „Gerade in der jüngeren Generation haben wir es mit einem Wertewandel zu tun. Es geht hier um die Sinnfrage. Arbeit ist heute mehr als Broterwerb. Berufliche Entwicklungschancen und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten werden hinterfragt. Mobile Arbeit, projekt-basierte Jobs und weniger strenge Hierarchien gehören zur neuen Normalität“, beschreibt Ulf Rinne, Volkswirt und Arbeitsmarktforscher am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn, die Veränderungen.
Gerade in Deutschland, wo die Präsenzkultur am Arbeitsplatz hochgehalten wurde, hat Corona deutliche Spuren hinterlassen, Stichwort Homeoffice. „Die Pandemie war teilweise ein ungewolltes Homeoffice-Experiment. Daraus wurden viele Lehren gezogen und von Unternehmen und Beschäftigten viele Investitionen getätigt. In Branchen, in denen das möglich ist, gehört Homeoffice mittlerweile zum Standardpaket der Mitarbeitergewinnung“, weiß Ulf Rinne aus seinen Untersuchungen. Wobei die Ansätze ganz unterschiedlich seien. Viele Unternehmen würden Beschäftigte nicht vollständig ins Büro zurückholen wollen. Gleichzeitig würden aber auch Beschäftigte nicht vollständig im Homeoffice arbeiten wollen. „2030 werden wir mobiler arbeiten. Der Trend zur hybriden Form des Arbeitens wird sich weiter durchsetzen. Beschäftigte werden mehr eigenverantwortlich handeln“, beschreibt Ulf Rinne seine Zukunftserwartungen.
Und damit sind wir auch wieder bei dem Angebot der Unfallklinik in Murnau. „Wenn Du auch einen Saisonjob hast, wenn Du im Sommer auf einer Alm, auf einem Schiff oder einfach in einem anderen Job gearbeitet hast, wenn Du jetzt wieder als Pflegekraft arbeiten möchtest, dann komm zu uns ins Flexteam! Wir machen individuelle Absprachen und persönlich auf Dich abgestimmte Arbeitszeiten möglich!“ Angebote wie dieses eröffnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch in Berufsfeldern, in denen es keine hybriden Arbeitsmöglichkeiten gibt, genau die Flexibilität, die viele heute von einem Arbeitsplatz erwarten.