Im Interview mit der HERZKAMMER erklärt Jürgen Baumgärtner, wie wir aus dem ländlichen Raum die Zukunftswerkstatt Bayerns machen können, wie der Verkehr der Zukunft aussehen könnte und wie wichtig es ist, dass wir in einer reisefreudigen Welt leben.
Herr Baumgärtner, Sie stammen aus dem Landkreis Kronach. Dem Landkreis wird für die nächsten 18 Jahre ein Rückgang der Bevölkerung um mehr als 10 Prozent vorhergesagt. Was bedeutet dies für die Region und was muss passieren, um dem entgegenzuwirken?
Mein Heimatlandkreis Kronach ist eine ländliche Region, die in besonderem Maße vom demographischen Wandel betroffen ist. Der Landkreis ist aber auch eine Region im Aufbruch, in der gerade ein sehr konstruktiver, dynamischer Zukunftsprozess läuft. Ich bin – geprägt durch die Erfahrungen aus Kronach – überzeugt, dass es zwei entscheidende Faktoren braucht, damit sich ein Landkreis mit solch einer großen Herausforderung perspektivisch positiv entwickeln kann. Erstens: Die Akteure vor Ort müssen diese Entwicklung gemeinsam mit passgenauen Strategien und Konzepten aus der Region für die Region gestalten. Zweitens: Der Freistaat Bayern muss die betroffenen Landkreise bei dieser Entwicklung gezielt unterstützen. Hierbei spielen Behördenverlagerungen eine entscheidende Rolle, aber auch der Ausbau von Infrastruktur. Die Staatsregierung setzt mit ihrer Heimatstrategie dabei genau die richtige Strategie um.
Mit welchen innovativen Mobilitätsmodellen und -konzepten kann der ländliche Raum solche Herausforderungen meistern?
Die Zauberworte sind Innovation und Flexibilität. Das Zusammenspiel zwischen öffentlichem Verkehr und Individualverkehr ist in den ländlichen Regionen natürlich ein anderes als in den Metropolen. Das Auto mit Verbrennungsmotor unter Einsatz von modernen Antrieben und Kraftstoffen wird übrigens auch in Zukunft – gerade auf dem Land – eine tragende Säule sein. Gleichzeitig gilt es, den ÖPNV auf dem Land regional zugeschnitten zukunftsorientiert zu gestalten. Das ist eine ungeheuer wichtige und spannende Herausforderung. Wir brauchen flexible Zubringer aus den kleinen Ortschaften hin zu unseren Mittelzentren und zu den Orten des täglichen Bedarfs wie Arztpraxen oder Einkaufsmöglichkeiten. Dazu gehören Rufbusse genauso wie Schnellradwege und autonome Fahrzeuge. Wir müssen den ländlichen Raum zur Zukunftswerkstatt Bayerns machen.
Gibt es – jenseits von Mobilitätsthemen – vielleicht auch eher unkonventionelle Lösungen für die Stärkung des ländlichen Raums, denen nachgegangen werden soll?
Ja, wir brauchen attraktive Städte und Gemeinden mit aktiven und lebendigen Ortskernen. Dabei müssen wir als Freistaat mit neuen Konzepten unterstützen. Hierbei ist es von Bedeutung die richtigen Anreize zu setzen sowie Ökologie und Ökonomie im Auge zu behalten, das heißt zum Beispiel Industriebrachen entsiegeln, von Altlasten befreien und je nach Einzelfall entweder wieder bebaubar machen oder renaturieren. Zudem ist es wichtig, die Sanierung von Häusern im Bestand in den Ortskernen finanziell möglichst attraktiv zu machen – und zwar für die öffentliche Hand, wie durch unser Förderprogramm „Innen statt Außen“, aber auch für private Häuslebauer. Wären Sanierung und Umbau eines älteren Hauses im Ortskern für private Häuslebauer finanziell besser schulter- und kalkulierbar, würden sich mehr von ihnen für das Eigenheim im Ortskern und nicht für den Neubau auf der grünen Wiese entscheiden. Deshalb setze ich mich sehr dafür ein, dass dieser Punkt in die Förderlandschaft aufgenommen wird.
Außerdem würde ich uns allen noch mehr Mut wünschen. Es ist eine große Aufgabe, konsequent die bereits überhitzten Ballungszentren zu entzerren und gleichzeitig den ländlichen Raum zu stärken. Deshalb werbe ich sehr dafür, die ländlichen Regionen mit großen Herausforderungen zu Sonderwirtschaftszonen zu erklären und sie auf diese Weise zu besonders attraktiven Standorten für Unternehmen zu machen.
Mal weg vom ländlichen Raum zu den größeren Städten und Metropolen: Wenn wir den innerdeutschen Flugverkehr verringern wollen, wie schaffen wir schnelle Verbindungen? Und welche Zukunft sehen Sie für den Flugverkehr?
Wir brauchen vor allem eine gute Anbindung unserer Flughäfen an das Fernverkehrsnetz. Damit können viele Zubringerflüge unnötig werden. Mit dem ICE zum Hauptbahnhof nach München und dann mit der S-Bahn ins Erdinger Moos zu fahren, ist umständlich. Außerdem sehen wir am Beispiel München-Berlin, dass echte Schnellverbindungen den Flugverkehr ersetzen können. Die Hyperloop-Technik, an der die TUM weltweit führend forscht, könnte in Zukunft europaweit unsere Metropolen verbinden.
Wir wollen den Flugverkehr aber keinesfalls verdammen oder zu einem Privileg einiger weniger machen, sondern ihn nach vorne bringen. Als Nächstes werden wir in einer Anhörung im Bayerischen Landtag den Luftverkehr in den Fokus nehmen. Wir haben großartige Unternehmen in Bayern, die den Flugverkehr in die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts führen können. Dabei geht es um Klimaschutz, Antriebstechnologien, die Nutzung des begrenzten öffentlichen Raums und vieles mehr.
Von den Zukunftsvisionen zurück zu den aktuellen und kommenden Herausforderungen: Was muss in Sachen ÖPNV, Straße und Schiene passieren und wie wird sich unser Verkehr in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren entwickeln? Gerade auch für die Verbindung von ländlichem Raum und Metropolen?
Egal wo man in Bayern lebt – in der Stadt oder auf dem Land – muss man verkehrlich sehr gut angebunden sein. Dies ist das Ziel. Ich bin überzeugt, wir müssen in der gesamten Verkehrsplanung unter Einbindung aller verantwortlichen Akteure miteinander konsequent über Stadt- und Landkreisgrenzen hinweg denken. Deswegen unterstützen wir als Freistaat mit Blick auf den öffentlichen Verkehr beispielsweise gezielt die Erweiterung unserer großen Verkehrsverbünde, in deren Gebiet sich Stadt und Land vereinen. Alle Orte Bayerns muss ein effizient organisiertes attraktives Verkehrsnetz verbinden, in dem die Verkehrsträger passgenau zum Einsatz kommen. Den Verkehr wollen wir dabei so umweltverträglich wie möglich organisieren. Dafür werden wir in der Breite ein besseres Angebot auf der Schiene benötigen. Zusätzlich brauchen wir für dieses Zusammenspiel auch – Stichwort Homeoffice – eine stabile Hochgeschwindigkeitsversorgung mit Internet. Da leistet der Freistaat Bayern mit dem Breitbandprogramm herausragende Arbeit.
Zum Schluss nehmen Sie uns doch kurz mit in den Arbeitskreis: Was sind da aktuell die wichtigsten Themen, die Sie mit Ihren Landtagskolleginnen und -kollegen intensiv diskutieren?
Im Arbeitskreis haben wir eine tolle Mannschaft. Die Zusammenarbeit mit unserer Staatsministerin Kerstin Schreyer klappt sehr gut, sodass es einfach Spaß macht, zusammen die Zukunftsfelder Wohnen, Bau und Verkehr für die Bürgerinnen und Bürger zu bearbeiten. Es geht darum, die Aufgaben in diesen Bereichen wirtschaftlich, sozial und ökologisch zu lösen. Schwerpunktthemen sind beispielsweise die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Lösungen für die Mobilität der Zukunft, die Reaktivierung von Bahnen, die Förderung von Stadt- und Gemeindeentwicklung sowie schonender Flächengebrauch mit Zukunftsblick auf eine Flächenkreislaufwirtschaft.