Interview
Unser Weg beginnt vor der Haustür

Interview mit Kerstin Schreyer Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr

Stadt oder ländlicher Raum? Wo liegt im Moment der Fokus Ihrer Arbeit und hat sich da vielleicht auch etwas verändert, seit Sie Ministerin sind?

Für mich ist beides gleich wichtig. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass – bedingt durch Corona – das Thema Stadt sehr in den Vordergrund rückt. Da geht es natürlich um die Situation in den Innenstädten, aber auch um die Frage: „Wo will ich wohnen?“. Gerade wenn man keinen Balkon oder Garten hat und Abstand halten soll, dann überlegt man sich vielleicht schon mal, wie und wo möchte ich leben und wohnen und zieht es mich vielleicht doch eher aufs Land oder in die Natur.

Sie haben es angesprochen: Corona verändert gerade, wie wir wohnen, leben, arbeiten. Was bleibt Ihrer Meinung nach davon, wenn die Pandemie überwunden ist?

Ich glaube, dass Corona zum einen Arbeitsprozesse stark verändert und wir mehr im Home-office sind. Mehr mobiles Arbeiten – das wird vermutlich auch nach Corona bleiben, weil es einfach auch Vorteile bringt. Mehr Homeoffice heißt aber auch: Wenn ich nur noch zwei Mal in der Woche ins Büro fahren muss, nehme ich dann eine längere Fahrtstrecke in Kauf und entscheide mich deshalb bewusst dazu, aufs Land zu ziehen? Denn wenn ich dort für weniger Geld mehr Platz habe und einen Garten oder Balkon dazu, dann hat das einen neuen Wert. Ich glaube, dass wir immer mehr Menschen haben werden, die sich aufgrund der geänderten Arbeitsbedingungen gut überlegen, ob sie wirklich mitten in der Stadt und ohne Balkon leben wollen oder ob sie gegebenenfalls fürs gleiche Geld in einem Häuschen mit Garten im ländlichen Raum leben möchten.

Spielen digitale Trends eine Rolle, wenn wir ans Bauen der Zukunft oder die Mobilität der Zukunft denken?

Jeder Weg, den ich nicht in eine Behörde machen muss, ist ein guter. Deshalb bringen wir im Bereich Bauen den digitalen Bauantrag voran. Im Bereich Mobilität setzen wir natürlich auch auf Digitalisierung. Die BayernInfo App zum Beispiel zeigt Baustellen, freie Parkplätze oder wo ich die nächste Bank oder Einkaufsmöglichkeit finde. Unser großes Ziel ist das E-Ticketing. Öffentlich fahren muss noch bürgerfreundlicher werden – mit einfachen Tarifen, Bezahlen am Handy und Verspätungsalarm direkt aufs mobile Gerät.

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Kerstin Schreyer, Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr
@CSU-Fraktion

Was sind Ihre Konzepte, um einen Verkehrskollaps in großen Städten zu verhindern?

Zum einen natürlich den ländlichen Raum ertüchtigen, damit niemand in die Stadt ziehen muss, der dort nicht hinziehen möchte. Der Verkehr in der Stadt, vor allem im Großraum München, ist natürlich eine riesige Herausforderung. Die Münchner S-Bahn ist im jetzigen Zustand für 240.000 Menschen gebaut, an Werktagen fahren aber täglich inzwischen 800.000 damit. Man muss kein großer Rechenkünstler sein, um zu wissen, da braucht es die zweite Stammstrecke und eine bessere Anbindung und Taktung bei den Außenästen.

Was halten Sie von einer autofreien Innenstadt?

Ich habe einen Runden Tisch gegründet, bei dem es um die Belebung von Innenstädten geht. Dort wird uns immer wieder berichtet, dass das genau der falsche Weg ist. Denn wenn ich in die Innenstadt fahren möchte, um eine Waschmaschine zu kaufen, werde ich diese nicht in der S-Bahn transportieren. Wenn wir wollen, dass Innenstädte belebt bleiben, müssen wir im Sinne der Einzelhändler und Geschäftsinhaber auch im Blick haben, dass man die Geschäfte mit dem Auto anfahren kann. Natürlich müssen wir so viele Anreize wie möglich schaffen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad in die Innenstadt zu fahren, aber es gibt Situationen, da brauche ich das Auto. Ich habe noch nie einen Handwerker gesehen, der seine Ladung in die S-Bahn verladen hat. Wir müssen die Lebenssituationen der Menschen anschauen, Verkehrsmittel nicht gegeneinander ausspielen, sondern passgenaue Lösungen finden.

Wohnen und Verkehr werden auch unter dem Umweltaspekt rege diskutiert, Stichwort Flächenverbrauch, Bau von Einfamilienhäusern, etc. Welchen Weg gehen Sie in punkto Nachhaltigkeit?

Flächenverbrauch ist ein wichtiges Argument. Wir müssen die Klimafragen aber auch mit den Bedürfnissen der Gesellschaft zusammenbringen, sonst gehen die Menschen nicht mit. Nur verordnen von oben her wird nicht funktionieren. Das Einfamilienhaus zum Beispiel ist für viele Menschen ein Traum. Wir sollten klug genug sein, diesen Traum nicht zu zerstören und in die persönlichen Lebensentwürfe der Menschen zu stark einzugreifen. Das heißt natürlich trotzdem, dass wir Angebote machen müssen, wie man ökologisch sinnvoll bauen oder bei älteren Gebäuden bei der Dämmung so nachrüsten kann, dass Energie gespart wird. Auch die Photovoltaik auszubauen, macht Sinn. Es gibt zahlreiche Gebäude, die man dafür künftig noch nutzen kann. Es ist wichtig, dass wir nichts verteufeln, sondern Schritt für Schritt schauen, wo wir gute Angebote und Anreize schaffen können, nachhaltig zu leben und zu wohnen.

Wie kann man – gerade auch in der Großstadt – Menschen auch „baulich“ zusammenbringen? Welche Konzepte gibt es da?

Unser Experimenteller Wohnungsbau liefert hier tolle Beispiele: Jeder hat seine Wohnung, aber es gibt Begegnungsräume, wie zum Beispiel eine Gemeinschaftsterrasse oder ein Café, in dem man sich zusammensetzen kann. So schaffen wir auch in großen Städten ein funktionierendes Netzwerk und ein Miteinander, von dem alle Bewohner profitieren. Das funktioniert prima, wie zum Beispiel beim Wohnprojekt Prinz Eugen Park in München. 

Bayern feiert in diesem Jahr 50 Jahre Städtebauförderung. Wo fließen die Gelder des Förderprogramms hin?

Die Städtebauförderung gibt es seit 50 Jahren. Mit mehr als 6,5 Milliarden Euro von Freistaat, Bund und europäischer Union wurden seither in über 1.200 Kommunen Stadt- und Dorfkerne neu gestaltet und belebt. Da gibt es viele tolle Projekte, von denen hier auch einige in der HERZKAMMER gezeigt werden. Die Städtebauförderung ist eine Investition, die ihresgleichen sucht und in den Städten, Märkten und Gemeinden viel bewegt hat.

Beim Thema Stadt haben wir oftmals zuerst die Großstädte im Sinn. Was tun Sie denn für kleinere und mittlere Städte?

Ich glaube eher, dass wir die großen Städte meistens nicht so im Blick haben, weil wir uns gar nicht vorstellen können, dass wir irgendeine Idee haben müssen, was wir in München, Nürnberg, Würzburg und Regensburg machen. Das ist tatsächlich jetzt durch Corona die wesentlich größere Herausforderung. Bei den kleinen Städten ist zum Beispiel „Innen statt Außen“ ein Programm, bei dem wir Geld in die Hand nehmen, um die Ortskerne zu ertüchtigen. Hier greift auch die Städtebauförderung. 

Bauen, Wohnen, Verkehr – das sind Themen, die das direkte Lebensumfeld der Menschen betreffen. Was reizt Sie persönlich an diesen Themen?

Wir sind ja das Infrastrukturministerium und entscheiden maßgeblich mit, wie die Menschen in Bayern leben. Mir macht es Spaß, daran zu arbeiten, dass die Menschen sowohl in der Stadt als auch auf dem Land gut leben können. Überall sollen die Voraussetzungen dafür erfüllt sein, dass die Menschen ein Verkehrsangebot haben, eine gute ärztliche Versorgung, die Infrastruktur, um zu arbeiten und den täglichen Bedarf zu sichern. Und ich möchte, dass dort, wo viele Menschen leben, sich die Menschen das Wohnen auch leisten können – egal welches Einkommen sie haben oder in welcher Lebenssituation sie sind. Diese Themen mitzugestalten, ist herausfordernd und gleichzeitig sehr spannend.

Hier muss man sicher auch sehr vernetzt denken, weil ganz viele Lebensbereiche betroffen sind …

Es war sehr klug, dass Ministerpräsident Markus Söder für diese Themen ein eigenes Ministerium geschaffen hat, denn die Herausforderungen sind immens. Ich kann Wohnen nicht ohne Mobilität denken und Verkehrsanbindung nicht ohne Wohnen, denn unser Weg beginnt vor der Haustür. Das gehört zwingend zusammen. Ich bin überzeugt, dass es richtig war und ist, diese Bereiche so zuzuschneiden.

Wenn wir uns 2040 wieder zum Interview träfen, wie werden wir wohnen und wie werden wir unterwegs sein?

Wir werden 2040 ganz sicher noch mehr Wert darauf legen, wie wir leben. Ökologisches Bewusstsein wird noch mehr im Fokus stehen und wir werden noch mehr Wert auf Wohnraum und Wohnqualität legen. Im Verkehrsbereich werden wir, glaube ich, ganz neue Dinge denken. Wir werden vermutlich mit einer Seilbahn anreisen oder mit dem Flugtaxi. Wir werden uns vielleicht manches Buch vom Laden mit einer Drohne bringen lassen. Wir werden ganz neue Dinge haben und deswegen macht es auch so viel Spaß, dieses Ministerium führen zu dürfen.

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Dörfliche Idylle in der Münchner Innenstadt: Der Kriechbaumhof des D.A.V. ist ein Überbleibsel aus Vorkriegszeiten und zeigt mit seiner für die Stadtteile Au und Haidhausen ehemals typischen Bauweise, wie sich die Wohnsituation und Architektur in den vergangenen 75 Jahren geändert hat.
@CSU-Fraktion

Kurz gefragt:

Sind Sie eher Stadt- oder eher Landmensch?

Stadtmensch.

Was war Ihr erstes Auto?

Mein erstes Auto habe ich mir erst vor drei Jahren gekauft, es ist ein Ford EcoSport. Meinen Führerschein habe ich erst mit 29 gemacht und bin lange Jahre nur öffentlich oder mit dem Fahrrad gefahren.

Wie hat als Kind Ihr Traumhaus oder Ihre Traumwohnung ausgeschaut?

Ich lebe jetzt genau das, was schon immer mein Traum war. Ich habe ein Haus in einer Siedlung gemietet, in der die Nachbarn wie in einer großen Familie leben. Im Sommer wird gegrillt und man fühlt sich wie im Urlaub im Süden. Es gibt ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, man kümmert sich, wenn jemand aus der Nachbarschaft Hilfe braucht und unterstützt sich gegenseitig. Alle Generationen sind vertreten, die Kinder können auf der Straße spielen und es regt sich auch keiner auf, wenn es mal ein bisschen lauter ist. Und wenn der Ball in den Garten fliegt, dann schießt man ihn halt zurück. Das ist genau, wie ich es mir vorstelle: ein Zusammenleben verschiedener Generationen. Da braucht es keinen Riesengarten, da langt mein kleiner Handtuchgarten. Aber dieses Miteinander ist ein wunderschönes.

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