Lange Jahre, ja sogar Jahrzehnte, litt der ländliche Raum unter einem schlechten Ruf. Vielfach und vielerorts wurde bereits ein Abgesang auf den ländlichen Raum gesungen. Die Zukunft würde sich in den Städten abspielen, hatte es noch zu Ende des letzten Jahrhunderts geheißen. Dort gäbe es Arbeitsplätze für die Menschen verbunden mit Wohlstand für den Einzelnen. Der ländliche Raum würde ausbluten, weil mangels gut bezahlter Arbeitsplätze und Entwicklungschancen vornehmlich die jungen Menschen wegziehen würden. Zurück bleiben würden nur die Alten sowie diejenigen, die in die Fußstapfen ihrer Väter in den traditionellen handwerklichen oder landwirtschaftlichen Berufen treten würden. Die Aussichten waren zugegebenermaßen nicht rosig und der ländliche Raum steckte in einem Teufelskreis fest: Denn ohne junge Menschen konnten sich keine Unternehmen ansiedeln, die Arbeitsplätze bringen konnten und ohne hochwertige Arbeitsplätze blieben die jungen Leute nicht im ländlichen Raum.
Entgegen aller Erwartungen hat sich die Lage des ländlichen Raums seit der Jahrtausendwende deutlich verbessert. Die Gründe dafür basieren auf zwei grundlegenden Entscheidungen: Eine menschliche und eine politische. Die menschliche Note lag darin begründet, dass eine Entwicklung zu beobachten war und nach wie vor ist, bei der gerade die jungen Menschen die alten Traditionen und vor allem auch die Heimat wieder mehr zu wertschätzen wussten. Gerade gebildete, junge Menschen entschieden sich vermehrt dazu, nicht auf Biegen und Brechen „Karriere machen“ zu müssen und sich nicht in das hektische, ruhelose und kraftraubende Korsett des aufstrebenden Karrieremenschen stecken zu lassen. Man nahm entgegen des nach dem erlangten Bildungsabschluss üblichen Verlaufs auch eine geringere Entlohnung in Kauf, um in der Heimat bleiben zu können. Begriffe wie „Work-Life-Balance“ hielten Einzug in den Sprachgebrauch. Eine Grundeinstellung, die über Generationen verpönt war. Nur die hart arbeitenden Bevölkerungsteile galten als vergleichsweise angesehen. Am ehesten sichtbar wurde der neue Stolz auf die alten Traditionen und die Heimat darin, dass die jungen Menschen plötzlich wieder Tracht und Dirndl trugen.
Doch die menschliche Note hätte niemals den ländlichen Raum retten können, hätte es nicht auch die politische Entscheidung gegeben, den ländlichen Raum zu stärken. Über Jahrzehnte konzentrierten sich die politischen Entscheidungen darauf, die Metropolen zu stärken, Wohnraum zu schaffen, Infrastruktur bereitzustellen und Gewerbeflächen auszuweisen. Das System funktionierte. Die Betriebe schossen aus dem Boden, die Menschen kamen von alleine und damit auch der Wohlstand. Das viel besagte Wirtschaftswunder hatte ihren Ursprung in den Städten. Doch das System stieß an seine Grenzen. Die Probleme, die aus der Überbevölkerung der Metropolen erwuchsen, wurden immer größer: Wohnungsknappheit, Umwelt- und Luftverschmutzung, Überproportionale Verteuerungen des Lebensunterhalts, überfüllte Straßen und Verkehrssysteme nahe des Kollaps. Wirtschaftskrisen führten zur Schließung von großen Unternehmen, die ganze Stadtviertel verwaist zurück ließen, wenn die Menschen heuschreckenartig weiter zogen dahin, wo wieder Arbeit zu finden war. Ganze Metropolregionen standen dadurch vor dem finanziellen Kollaps Die Struktur war zusätzlich zu den hinterlassenen Problemen nicht robust genug, um Krisen auszuhalten. Die Politik musste handeln. Es galt, den ländlichen Raum attraktiver zu gestalten, um den weiteren Zuzug in die Städte und die damit einhergehenden Problematiken abzumildern. So wurden vielfältige Strategien entwickelt, um den ländlichen Raum zu stärken; angefangen von Strukturhilfen für Investitionen, über Behördenverlagerungen und Auslagerungen von Hochschulstandorten bis hin zur Digitalisierung wurden viele Instrumente eingesetzt. Auch wenn der Prozess bis heute noch nicht abgeschlossen ist, so fällt das Fazit positiv aus. Die ländlichen Räume atmen wieder. Bereits im Jahr 2014 zogen mehr Menschen in die ländlichen Räume als weg. Die Trendwende war geschafft. Dabei haben sich die beiden Faktoren gegenseitig bedingt, denn ohne die Bereitschaft der Menschen, in den ländlichen Räumen zu bleiben, wären die politischen Versuche ins Leere gelaufen und ohne die politische Unterstützung für die ländlichen Räume, hätte es dort für viele junge Menschen trotz dem unbedingten Willen, vor Ort bleiben zu wollen, keine Zukunft gegeben.
So stand der ländliche Raum, wie etwa der Bayerische Wald, vor der Corona-Krise ziemlich gut da. Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung machten sich durch die Ansiedlung von immer neuen Betrieben bemerkbar, Wirtschaftsförderungen sorgten für moderne und volle Hotels, die genau wie die neuen Arbeitsplätze zusätzliche Wertschöpfung und damit auch Wohlstand brachten. Aber auch verlagerte Behörden, Technologie-Campi als Außenstellen von Hochschulen sowie die flächendeckende Breitbanderschließung sorgten für ein breit gefächertes Angebot an gut bezahlten Arbeitsplätzen, die die Grundlage dafür bildeten, dass Menschen aller Berufsausbildungen im ländlichen Raum leben konnten. Dazu kamen noch die weichen Standortfaktoren, die das Leben im ländlichen Raum angenehmer, lebenswerter und attraktiver gestalten als in der Stadt. So punkten die ländlichen Räume mit immer noch vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten, mit funktionierenden gesellschaftlichen Strukturen wie einem regen Vereins- oder Dorfleben sowie mit einer hohen Lebensqualität durch ein umfassendes Freizeitangebot vornehmlich in der freien Natur.
Die Corona-Krise hat aber nun die „Standort-Würfel“ noch einmal neu gemischt. Und es sieht so aus als könnte der ländliche Raum als der große Gewinner aus der Krise hervorgehen. Lag bis vor kurzem noch die Priorität der Politik darin, Behörden und Betriebe zu den Menschen vor Ort zu bringen, so könnte dies in Zukunft überflüssig werden. Durch den durch Corona-ausgelösten Home-Office-Boom, den es ohne der plötzlichen Notwendigkeit in Zeiten der Pandemie so nie gegeben hätte, weil die Vorbehalte einfach zu groß waren, können Menschen in Zukunft von jedem Ort der Welt bei jedem Betrieb oder jeder Behörde arbeiten, ohne vor Ort sein zu müssen. Die Arbeitswelt könnte sich in einem nie dagewesenen Maße verändern. Die digitale Infrastruktur, die auch in den ländlichen Räumen geschaffen wurde, macht genau dies möglich. Zusätzlich machen Projekte wie Co-Working-Spaces einen Arbeitsalltag für diejenigen erlebbar, die Wert darauf legen. Unter diesen Vorzeichen werden sich in Zukunft noch viel mehr Menschen für ein Leben bei höherer Lebensqualität, niedrigeren Kosten und gleichem Einkommen im ländlichen Raum entscheiden. Dazu erlebt auch, ebenfalls begründet durch die Corona-Krise, der Outdoor-Bereich einen regelrechten Boom. Die Menschen sehnen sich nach Natur, nach Bergen, nach Wäldern und nach Bewegung im Freien. Was läge da näher, auch dort zu leben, wo man jederzeit Wandern, Radfahren, oder Skifahren kann, wann man will, wenn man dort auch arbeiten kann. Die Vorzeichen sind also klar gesetzt. Die Renaissance des ländlichen Raums hat begonnen.
Doch die Entwicklung unter diesen Vorzeichen sowie einsetzende gesellschaftliche Strömungen sorgen auch für Gefahren. Aufgrund des neuen Naturbewusstseins der Menschen sowie dem Ansatz, weniger Flächen zu verbrauchen, könnte Grund und Boden im ländlichen Raum dann auch bald ein knappes Gut werden, verbunden mit einer Verteuerung der Lebensunterhaltungskosten. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Entwicklung nicht so schnell bewahrheitet und der ländliche Raum weiterhin mit seinen Standortvorteilen punkten kann. Mit einer grundsätzlichen Verschiebung der Beliebtheit von der Stadt zum Land ist auch niemandem geholfen. Wie so immer würde sich die goldene Mitte hier als der beste Weg herausstellen. Die Attraktivität des ländlichen Raumes wird sich jedoch kaum aufhalten lassen.