Kultur
Märchen und Mördergeschichte

Ein Konzerthaus im Dorf? Was zunächst abwegig erscheint, hat Blaibach im Bayerischen Wald neuen Glanz verschafft. Hier treffen sich internationale Künstler der Klassik und Moderne, aber auch regionale Musiker – und der ganze Ort ist mit dabei.

Rund 2.000 Menschen leben in Blaibach im Bayerischen Wald. Hier gibt es viel frische Luft, Touristen kommen zum Radeln und Wandern, in der Dorfmitte stehen sorgfältig restaurierte Häuser und „eine umgekippte Schuhschachtel“. So nennen viele das Konzerthaus, das mit seiner modernen Architektur so wirkt, als wäre es vom Himmel mitten ins Dorf gefallen. Der geneigte Block aus Beton bietet Platz für 200 Zuhörer. Im Konzertsaal überschneiden sich die Wände unregelmäßig, was eine Akustik auf höchstem Niveau ermöglicht.

 

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Das Konzerthaus wird von den Blaibachern wahlweise „umgekippte Schuhschachtel“ oder „Das Wunder von Blaibach“ genannt.
@Naaro; Marco Borggreve

Vor neun Jahren hatte der Ort nahe der tschechischen Grenze mit Problemen zu kämpfen, die viele Kommunen in der Fläche kennen: Leerstand in der Ortsmitte, demographischer Wandel und immer weniger Touristen. „Unser gemeinsamer Nenner war zu Beginn sicherlich, dass wir mit einer alternativen Strategie wieder mehr Gäste gewinnen wollten“, erzählt Thomas Eduard Bauer, Intendant des Konzerthauses. Er ist selbst Musiker und Initiator der ersten Stunde. 2012 wurde das Bürgerhaus in der Ortsmitte mit Mitteln aus der Initiative „Ort schafft Mitte“ des Freistaats neu gebaut, ein Jahr später folgte dann die Idee, ein Konzerthaus mitten im Dorf zu errichten. Wichtig sei hier sicher die Begegnung mit dem Münchner Architekten Peter Haimerl gewesen, so Bauer, „mit dem ich einen gewissen Hang zum Wahnsinn teile“. 

„Am Ende trinkt man einen Schnaps und alles wird gut.“



Zunächst gab es wegen der Idee in der Gemeinde einige Verwirrung. Dafür habe er im Nachhinein vollstes Verständnis, so Bauer. Doch nach und nach trugen die Menschen das Vorhaben tatkräftig mit, es wurde ein Förderverein gegründet und der Pfarrer in die Planungen mit eingeweiht. „Man darf auch die Rolle der Kirchengemeinde nicht unterschätzen. Bei solchen Vorhaben geht es darum, einen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen und da ist die Kirchengemeinde noch eine wichtige Interessengemeinschaft.“ Viele Blaibacher packten direkt mit an, nicht zuletzt, um die Granitsteine der Fassade in Beton zu gießen. „Da wird dann zwar auch mal gestritten, aber am Ende trinkt man doch miteinander einen Schnaps und alles wird gut.“ 

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Thomas Eduard Bauer: Intendant, Visionär, selbst Musiker und Initiator des Granitblocks aus Beton. Die Idee zum Konzerthaus entwickelte er gemeinsam mit dem Münchner Architekten Peter Haimerl.
@Naaro; Marco Borggreve

Ein Jahr dauerte der Bau des Konzerthauses. Zu den 1,7 Millionen Euro aus Städtebaumitteln konnte eine weitere Million durch Spenden und ein Zuschuss des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst akquiriert werden. Als die Bauarbeiten begannen, setzte Bauer damals einfach den Termin für das Eröffnungskonzert fest. Er selbst verbrachte dann die letzten Wochen im Blaumann auf der Baustelle. „Das klingt jetzt alles wie ein Märchen, aber es war eine Mördergeschichte.“ Die Orchestermusiker schraubten noch kurz vor Beginn des Konzerts die Stühle ein, sodass das Haus tatsächlich erst wenige Minuten vor der offiziellen Eröffnung fertig wurde. 

Ein besonderer Geist 



Seit es das Konzerthaus gibt, das auch gerne „Das Wunder von Blaibach“ genannt wird, hat sich im Dorf einiges verändert. Viele kommen, um die Konzerte zu besuchen, aber es gibt auch viele Tagesausflügler, bei denen Blaibach als Sehenswürdigkeit des Bayerischen Waldes auf der Agenda steht. Die örtliche Hotellerie und Gastronomie hat kräftig investiert und auch in den Nachbargemeinden quartieren sich die Konzerthausfreunde ein. „Wenn man jetzt durch die Ortsmitte läuft, sind die Veränderungen unübersehbar und auch ein wenig surreal“, sagt Bauer. Der Ort strahle einen besonderen Geist aus, der inzwischen als Modell für Kommunen in ganz Deutschland angesehen werde. „Die touristischen Erfolge sind durch die zahlreichen Konzerthausbesucher offensichtlich, aber es muss meiner Meinung nach um mehr gehen. In einer sich rasant verändernden Welt werden wir den Perspektivenwechsel, für den unsere Initiative steht, dringend nötig haben.“ 

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Eigentlich ist Blaibach im Landkreis Cham ein beschaulicher Ort mitten im Bayerischen Wald. Doch seit es dort das Konzerthaus gibt, ist nichts mehr wie zuvor.
@Naaro; Marco Borggreve

Bauer selbst ist im Bayerischen Wald geboren und obwohl er ein international gefragter Bariton ist, blieb er der Region immer verbunden: „Ich habe die Situation der 70er-Jahre noch erlebt und den Aufstieg der Region aufmerksam verfolgt.“ Während früher eine Arbeitslosigkeit von etwa 40 Prozent üblich gewesen sei, spielten heute Themen wie universitäre Bildung, Elektromobilität und Hidden Players eine wichtige Rolle. „Auch im Bereich der innovativen Künste muss eine analoge Entwicklung stattfinden. Deshalb bin ich einfach selbst aktiv geworden.“ 

In den vergangenen Jahren gastierten Stars der klassischen Musik nicht nur in Hamburg, Berlin oder München – sondern auch in Blaibach. Die Berliner Philharmoniker spielten im Konzerthaus, ebenso wie Julia Fischer, Grigory Sokolov oder Gidon Kremer. Und wie geht es weiter? „Ich würde gerne in die unplugged-Szene vordringen“, berichtet Intendant Bauer von seinen Plänen. Mit dem Management von Sting und Elton John stehe er bereits in Kontakt. Ein Ticket würde dann etwa zwischen 5.000 und 10.000 Euro kosten. „Ausverkauft wären solche Veranstaltungen sofort, aber vielleicht verschrecken wir die Leute dann endgültig“, lacht er.

Bildquelle Header: Naaro; Marco Borggreve