Wie Julia Nissen alias "Deichdeern" durch Wichteln und eine Treckermitfahrvermittlung Stadt- und Landmenschen ein wenig näher zusammenbringen will.
HERZKAMMER: Liebe Julia, du lebst mit deiner Familie im Herzen Nordfrieslands und bloggst als „Deichdeern“ über alle möglichen Themen, die dich bewegen. Du lebst in einer Gemeinde, in der es gefühlt mehr Kühe als Menschen gibt. Was ist denn ein typisches Klischee, mit dem du immer wieder konfrontiert wirst hinsichtlich des Landlebens? Und vor allem: trifft es zu?
Julia Nissen: Fangen wir gleich mit dem ersten Klischee an, dass wir mehr Kühe als unsere 600 Einwohner haben. Das stimmt. Ansonsten treffen viele Vorurteile nicht zu. Zum Beispiel, dass wir hier digital zurück sind. Ganz im Gegenteil: So können wir schon seit mehreren Jahren das schnelle Internet durch den Glasfaserausbau genießen. Das ist allerdings von Region zu Region unterschiedlich.
Hast du das Gefühl, dass das gegenseitige Verständnis von Stadt- und Landmenschen in den vergangenen Jahren abgenommen hat und woran liegt das vielleicht?
Ich habe zumindest das Gefühl, dass, sobald es ums Land geht, der Begriff zunehmend romantisiert wird und man eine Idylle zeichnet, die die Realität aber nicht bietet, nicht immer zumindest. Aber auch wir haben unsere Bullerbü-Momente.
2017 hast du dann das erste Mal über deine Social Media Accounts zum „Stadt-Land-Wichteln“ aufgerufen und seitdem wollen Jahr für Jahr mehr Stadt- und Landmenschen daran teilnehmen. Erzähl uns doch kurz, wie das Wichteln abläuft und was deine Intention dahinter war?
Ich möchte Stadt- und Landmenschen wieder zusammenbringen. Sie sollen in einem Brief ihre eigene Geschichte erzählen und bekommen im Gegenzug einen Brief aus dem jeweiligen anderen Lebensmodell. Wichtig ist allerdings nicht zu bashen à la „wir Dorfkinder wissen noch, wie …“, sondern eher im Gegenteil: sich einmal bewusst machen, welchen Wert das eigene Leben auf dem Dorf oder in der Stadt hat und dann aber auch reflektieren, was man an der eigenen Situation vermisst. Ich zum Beispiel finde es blöd, dass ich immer ein Auto brauche, um mich fortzubewegen. In der Stadt ist es deutlich einfacher – und dementsprechend auch besser für die Umwelt.
Was schreiben sich die Teilnehmer in den Briefen, hast du da vielleicht eine nette Anekdote?
Mittlerweile haben über 3.000 Menschen mitgemacht beim Stadt-Land-Wichteln. Viele davon bereits zum wiederholten Male. Da gibt es unzählige Beispiele. Besonders gefreut haben mich im vergangenen Jahr die Bilder, die ich zugeschickt bekommen habe von „Pärchen“, die sich in echt getroffen haben. Durch Corona fiel ein Urlaub im Ausland flach und so haben viele die Chance genutzt und ihren Brieffreund persönlich besucht. Das waren tolle Momente.
Was würde denn in deinem Wichtel-Brief an einen „Stadtmenschen“ stehen?
In meinem Wichtelbrief stelle ich mich und meine Lebenssituation kurz vor. Die meisten wissen, dass ich einen Erstwohnsitz in Nordfriesland und einen Zweitwohnsitz im Internet habe. Was ich auf dem Land vermisse, ist die kulinarische Vielfalt. Grieche, Italiener, Imbiss, das haben wir hier – alles, was davon abweicht, ist viele, viele Kilometer entfernt. Das genieße ich sehr, wenn ich in den Metropolen unterwegs bin: gutes Essen, das man nicht jeden Tag bekommt.
Im vergangenen Jahr kam dir dann die Idee, Landerlebnisse über eine Plattform zu vermitteln. Wie hat das Ganze denn seinen Lauf genommen?
Am Anfang gab es eine Treckermitfahrerzentrale, in der ich händisch Landwirte und „Mitfahrer“ miteinander connectet habe. Dann wurde die Nachfrage immer größer und die Wünsche immer umfangreicher. Ich habe mich also entschlossen, eine smartere Version der „Verkupplung“ zu entwickeln und so entstand die „App aufs Land“, eine Plattform, die Landerlebnisse von privat zu privat vermittelt.
Durch Corona waren bestimmt viele schöne Besuche, Kurse und Landerlebnisse nicht möglich. Hat sich da auch online viel getan?
Wir sind im November live gegangen – also mitten im Lockdown. Seitdem laufen nahezu alle Formate virtuell. Wir hoffen sehr auf den Sommer, wenn die Menschen ausreichend geimpft sind und Treffen wieder möglich sind.
Welche Angebote sind denn seit dem Start der App bei euch eingetrudelt und gibt es da auch deutschlandweit Unterschiede?
Wir haben alles dabei: von Treffen mit einem Jäger über virtuelle Treckermitfahrten bis hin zu Hofbesuchen (inklusive Mitmelken) oder virtuellen Weinverkostungen. Regionale Unterschiede gibt es insofern, dass im Norden die Plattdeutschkurse mehr angeboten werden. (lacht)
Weg von Nordfriesland wieder zurück nach Bayern. Gibt es denn auch hier Angebote?
Ja, wir hatten auch schon ein paar Anbieter aus Bayern dabei. Vor Kurzem konnte man über die App beispielsweise eine Kräuterwanderung im Landkreis Mühldorf buchen. Es lohnt sich also, immer mal wieder in der App vorbeizuschauen.
Wie soll sich die „App aufs Land“ in den kommenden Monaten und Jahren noch weiterentwickeln? Was wäre dein Wunsch?
Gemeinsam mit meinem Redaktionsteam arbeite ich gerade daran eine Dachmarke für alles zu schaffen: Blog, Wichteln, „App aufs Land“ – bei mir ist ganz schön viel Rummel, und wenn man neu auf meinen Kanälen landet, ist man oft überfordert. Das möchte ich vereinfachen und den Netzwerkcharakter dort auch vermehrt ausbauen, denn das ist das, was ich am liebsten mache und wofür ich brenne: Menschen zusammenzubringen und Brücken zu bilden.
Eine Frage noch zum Schluss: Was wäre denn ein absolutes Pflicht-Landerlebnis, das jeder einmal gemacht haben sollte?
Also ich finde die einfachen Begegnungen am schönsten: Kochen mit einer Landfrau, Melken oder Treckerfahren mit einem Bauern oder die Natur entdecken mit einem Jäger.