Gastbeitrag von Prof. Dr. Jörg Bogumil
Die Kommunen erfüllen im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Doppelfunktion. Zum einen werden auf kommunaler Ebene in vielen Politikfeldern politische Entscheidungen getroffen, welche die Lebensumstände der Bürger nachhaltig prägen. Örtliche Lösungen bieten aufgrund ihrer geringen Distanz bessere Mitwirkungsmöglichkeiten für Bürger, sie machen Politik „fassbar". Da die Auswirkungen von Politik, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem besonders anschaulich und konkret erfahrbar sind, besteht hier die Chance, Politik in größerem Umfang mitzugestalten und die Bürger in das politisch-administrative System einzubinden. Die lokale Ebene ist also die Ebene umfassender Mitwirkungsmöglichkeiten. Aus dieser Perspektive sind die Kommunen die „Schule der Demokratie".
Andererseits kommt den Kommunen mit Blick auf die Aufgabenerfüllung und die Bedeutung für die Lebensverhältnisse der Bürger eine wichtige Funktion der Daseinsgestaltung zu. Aus dieser Perspektive interessieren vor allem die Effektivität und Effizienz kommunaler Leistungen. Durch die Übernahme von Versorgungs-, Leistungs-, Fürsorge-, Vollzugs- und Planungsfunktionen sind Kommunen auch in Zeiten eines europäischen Mehrebenensystems unverzichtbar. Es ist daran zu erinnern, dass immer noch circa zwei Drittel der staatlichen Investitionen von den Kommunen vorgenommen und 75 bis 90 Prozent der ausführungsbedürftigen Bundesgesetze hier implementiert werden. Die enorme Bedeutung der Kommunen ist nicht zuletzt während der sogenannten „Flüchtlingskrise" in den Jahren 2015/2016 deutlich geworden. Allerdings sind die Kommunen, gemessen an ihrer Finanzautonomie und hinsichtlich der administrativen und politischen Kompetenz, die am schlechtesten ausgestattete Politikebene, denn staatsrechtlich sind sie Teil der Länder und unterliegen damit deren Aufsichts- und Weisungsrecht.
Weil die Kommunen also immer gleichzeitig eine eigenständige Verwaltungsebene im Bundesstaat, eine wichtige staatliche Ausführungsinstanz und die Schule der Demokratie sind, stehen sie fortwährend im Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Legitimation und Effizienz. Dieses Spannungsverhältnis kann auch an den Entwicklungen der letzten 20 Jahre gut beobachtet werden. Deutlich wird dies daran, dass einerseits seit den 1990er Jahren mit der tief greifenden kommunalen Haushaltskrise, der Einführung des Neuen Steuerungsmodells und der zunehmenden Privatisierung und Liberalisierung Trends zu verzeichnen sind, die eine effizientere Produktion kommunaler Leistungen forcieren wollten. Andererseits wurden durch die Reform der Kommunalverfassungen mit der Direktwahl der Bürgermeister und der Einführung von Bürgerbegehren beziehungsweise Bürgerentscheiden sowie durch neue kooperative Beteiligungsangebote die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger maßgeblich erweitert.
Schaut man überblicksartig auf die Ergebnisse dieser Reformbemühungen, so sind die Versuche einer betriebswirtschaftlichen Modernisierung der Kommunalverwaltungen zum Teil gelungen. Ohne jeden Zweifel sind die Kommunalverwaltungen in Deutschland deutlich kundenorientierter aufgestellt als noch vor 20 Jahren. Die Euphorie, Ende der 1990er Jahre zunehmend Leistungen zu privatisieren, ist dagegen mittlerweile völlig abgeklungen. Dies ist nicht bedauerlich, schließlich geht es beim öffentlichen Handeln im Gegensatz zum Unternehmenshandeln nicht nur um Effizienz, sondern auch und vor allem um gute Leistungen für die Bürger, die Gewährleistung von rechtsstaatlichem Handeln und demokratische Mitbestimmung.
Die Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung jenseits von Gemeinderatswahlen sind in den letzten 20 Jahren erheblich ausgebaut worden, denkt man an die nunmehr bundesweit flächendeckend stattfindende Direktwahl der Bürgermeister und Landräte, die deutliche Zunahme kommunaler Bürgerbegehren und Bürgerentscheide und viele freiwillige Bürgerbeteiligungsverfahren bei Infrastrukturprojekten. Dies hat auch dazu geführt, dass die Akzeptanz kommunaler Entscheidungen und das Vertrauen in die Kommunalpolitik insgesamt deutlich höher sind als für die Landes- oder Bundesebene.
Neben der Notwendigkeit und den großen Bemühungen vieler Kommunen in Deutschland, die Integration der Flüchtlinge weiter voranzutreiben und den Problemen des Wohnungsmarktes – vor allen in den Großstädten – kommt mit dem immer lauter werdenden Ruf nach stärkeren Bemühungen im Bereich der Digitalisierung öffentlicher Leistungen eine neue Mammutaufgabe auf die Kommunen zu. Deutschland liegt im aktuellen Digital Economy and Society Index (DESI) der EU immer noch auf den hinteren Plätzen. Allerdings verstärken sich in jüngster Zeit die digitalen Reformtätigkeiten der Bundes- und Länderebene. Beispiele hierfür sind die E-Government-Gesetze des Bundes und der Länder sowie das Onlinezugangsgesetz (OZG) von 2017. Sämtliche Gesetze fordern, versehen mit entsprechenden Fristenregelungen, die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen und -verfahren, so dass hier ein neuer Schwerpunkt der Modernisierungsaktivitäten in Staat und Verwaltung entsteht. Auch beim Thema digitale Verwaltungsleistungen muss es darum gehen, einen tragfähigen Kompromiss zwischen zentraler Steuerung und verbindlichen Standards einerseits und kommunaler und dezentraler Autonomie und Vielfalt andererseits zu finden.