Im Interview mit der HERZKAMMER erklären Digitalministerin Judith Gerlach und Wissenschaftsminister Bernd Sibler, warum der Freistaat massiv in Zukunftstechnologien investiert, wie Satellitendaten in Bayern mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Klimaveränderungen voraussagen können – und warum Laufschuhe in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen.
Herzkammer: Welcher ist der analogste Gegenstand, den Sie besitzen?
Judith Gerlach: Die schönsten Dinge im Leben sind analog. Und das möchte ich gar nicht an einem Gegenstand festmachen. Denn die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass bei allen digitalen Kommunikationsmitteln, die super praktisch und sehr hilfreich sind, es schwer ist, den analogen Kontakt zu Familie und Freunden oder zu Kolleginnen und Kollegen zu ersetzen. Aber wenn ich doch einen Gegenstand nennen sollte, dann meine Laufschuhe. Das Joggen durch den Spessart mache ich sehr gerne – ganz analog. Das ist wunderbar.
Bernd Sibler: Meine Bücher … und ebenfalls meine Laufschuhe und natürlich mein Weißbier (lacht).
Herzkammer: Mit der Hightech Agenda investiert Bayern zwei Milliarden Euro in Schlüsseltechnologien wie KI, Robotik oder IT. Wie erklären Sie skeptischen Bürgerinnen und Bürgern, warum der Freistaat diese große Summe investiert?
Judith Gerlach: Die Hightech Agenda hat der Freistaat gestartet, damit unsere heimische Wirtschaft auch in der digitalen Welt vorne mitspielt. Denn die Digitalisierung wartet nicht auf uns. Wenn wir auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen wir heute die richtigen Entscheidungen treffen und diesem Thema die höchste Priorität einräumen. Das zahlt sich aus und schafft Arbeitsplätze. Außerdem sichert es unsere Unabhängigkeit. Denn wenn wir uns im Bereich Digitalisierung abhängen lassen, sind wir in Zukunft sehr stark der Entwicklung im Ausland unterworfen.
Bernd Sibler: Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Künstliche Intelligenz ist die Schlüsseltechnologie für vielfältige Entwicklungen. Sie durchdringt alle Lebensbereiche, sie ermöglicht autonomes Fahren oder die verbesserte Auswertung von medizinischen Daten. KI kann im Bereich der Pflege entlasten oder in der Versicherungswirtschaft helfen. Wir wollen unabhängig sein von Big Playern wie China oder den USA, wenn es um die Entwicklung von Zukunftstechnologien wie diesen geht. Wir wollen Treiber sein eines menschlichen Fortschritts und nicht Getriebene der Akteure in Nordamerika und Asien, die einen anderen Wertekompass haben. Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt, auch und gerade beim Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Entscheidend ist, welcher Mehrwert für uns von neuen Technologien ausgeht. Wir wollen die Zukunft mitgestalten, und zwar nach unseren eigenen ethischen Maßstäben und Ansprüchen. Deswegen investieren wir heute mit der Hightech Agenda Bayern massiv in den Ausbau und die Modernisierung unserer Wissenschafts- und Forschungslandschaft. Unsere Hochschulen sind sowohl in der Forschung als auch in der Lehre entscheidende Innovationsmotoren: sie bilden die künftigen Fachkräfte aus, die kommende Generation an Experten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Seit vier Jahren in Folge belegt das Forschungs- und Entwicklungsteam der Technischen Universität München (TUM) beim internationalen Hyperloop-Wettbewerb in Los Angeles, ausgerufen von Space-X-Gründer Elon Musk, den ersten Platz, stellt Rekorde auf und setzt Maßstäbe.
Herzkammer: Keine Digitalisierung ohne Ideen aus der Wissenschaft – wie arbeiten das Digital- und das Wissenschaftsministerium zusammen? Wie bündeln Sie die vielen Initiativen?
Bernd Sibler: Wir tauschen uns auf allen Ebenen intensiv aus. Ich bin mit Judith in regem Kontakt zu den großen Themen, wie zum Beispiel zur Gründung des Bayerischen KI-Rats und der Bayerischen KI-Agentur.
Judith Gerlach: Ja, wir arbeiten sehr eng zusammen, denn wir haben viele Themen, die beide Ministerien betreffen. Zudem haben wir einen Dialog mit Wissenschaft und Wirtschaft gestartet, um eine Vision für eine „Quantentech-Region Bayern“ zu entwickeln. Damit stärken wir das Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft und bauen eine Industrie für Quantentechnologie im Freistaat auf.
Herzkammer: Welche großen Ideen und Innovationen aus Bayern fallen Ihnen ein, die zeigen, welches Potenzial in der Digitalisierung steckt?
Judith Gerlach: Ein eindrucksvolles Beispiel aus dem Bereich KI ist das Zukunftslabor „Artificial Intelligence for Earth Observation: Reasoning, Uncertainties, Ethics and Beyond“ (AI4EO) – geleitet von der Technischen Universität München in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit Hilfe von KI werden riesige Mengen an Satellitendaten analysiert, verarbeitet und produktiv genutzt, etwa für den Umgang mit Naturgefahren und Klimaveränderungen oder für die Gestaltung von nachhaltiger Urbanität und Landwirtschaft. Oder die Würzburger Kleinstsatelliten, die am Zentrum für Telematik (ZfT) gemeinsam mit einem Start-up entwickelt wurden und im September ins All gestartet sind. Die vier Satelliten koordinieren sich selbstständig und stimmen so eine optimale Beobachtungsposition im dreidimensionalen Raum ab. Damit sollen unter anderem eine bessere, dreidimensionale Erdbeobachtung oder ein Blick hinein in Wolken möglich werden.
Bernd Sibler: Quer durch den gesamten Freistaat arbeiten unsere Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Technischen Hochschulen sowie unsere Kunsthochschulen an Innovationen und Fortschritt. Ein Leuchtturmprojekt der bayerischen KI-Forschung ist das Forschungszentrum Geriatronik der TUM in Garmisch-Partenkirchen. Dort arbeitet man an der zentralen Frage, wie Künstliche Intelligenz den Alltag älterer Menschen erleichtern kann und wie wir neue Technologien zur Unterstützung in der Pflege einsetzen können.
In Ingolstadt steht die Mobilität der Zukunft im Fokus: autonomes Fahren, unbemanntes Fliegen und KI-gestützte Automobilproduktion. Dabei geht es sowohl um Grundlagenforschung als auch um den effektiven Transfer der Ergebnisse in Anwendungen und Produkte.
Herzkammer: Wie hilft die Digitalisierung in Corona-Zeiten? Oder umgekehrt: Gibt die Pandemie der Digitalisierung den entscheidenden Push?
Bernd Sibler: Beides. Videokonferenzen zum Beispiel haben vielen Menschen in der besonders schwierigen Zeit des Corona-Lockdowns geholfen, um mit Freunden und der Familie Kontakt zu halten. Der Digitalisierung haben wir es auch zu verdanken, dass wesentliche Bereiche unseres Alltags noch funktioniert haben: Arbeiten war – freilich nicht für alle, aber dennoch für viele – von Zuhause aus möglich. Da hat die Digitalisierung schon sehr geholfen. Aufbauend auf diesen Erfahrungen wird sich vermutlich die Berufswelt weiterentwickeln und verändern. Die Vorteile einer flexiblen, ortsunabhängigen Arbeit werden wir sicherlich weiterhin nutzen.
Die Digitalisierung hat auch an unseren Hochschulen einen kräftigen Schub erhalten. Rund 90 Prozent der Lehre konnten digital angeboten werden. Wenn wir uns vor Augen führen, wie kurzfristig unsere Hochschulen angesichts der Pandemie agiert haben, ist das mehr als beeindruckend. Das zeigt natürlich auch, dass sie längst nicht bei Null angefangen haben. Diese große Gemeinschaftsleistung war dank des großen Engagements und der hohen Einsatzbereitschaft aller Beteiligten möglich. Ein Zurück zu dem Stand vor Corona wird es nicht mehr geben – da sind sich alle einig, das weiß ich aus meinen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Hochschulen. Diese Motivation gilt es jetzt zu nutzen, um die Qualität der Angebote noch weiter zu verbessern und Lehre neu zu denken.
Judith Gerlach: Die Digitalisierung war in Bayern auch bereits vor der Pandemie auf einem guten Weg. Es zeigte sich im Verlauf der Krise, dass durch Corona nochmals ein großer Schub entstanden ist. Viele kreative und findige Lösungen sind in dieser Situation entstanden. Das gilt erst recht für innovative digitale Ideen. Über den Hackathon #wirvsvirus, wurde beispielsweise das Projekt „darfichrein.de“ entwickelt. Damit ist die Gäste- und Kundenregistrierung ganz ohne Stift und Papier möglich. Inzwischen wird „darfichrein.de“ auch für Studenten in den Hörsälen an Hochschulen, für Fans bei Sportveranstaltungen oder Besucher von Behörden genutzt – etwa bei uns im Digitalministerium.
Auch bei der digitalen Transformation der Verwaltung sind wir einen großen Schritt vorwärtsgekommen. Die wichtigsten Verwaltungsleistungen stellen wir noch dieses Jahr online – wir sind schon auf der Zielgeraden. Darunter finden sich „Hochkaräter“ wie das Elterngeld, die digitale Baugenehmigung oder das Wohngeld. Ab 2021 erfolgt die Ausrollung der digitalen Leistungen in die Fläche.
Herzkammer: Was zeichnet den Forschungsstandort Bayern besonders aus? Wie stehen wir bundesweit und im internationalen Vergleich da?
Bernd Sibler: Der Freistaat ist Top-Standort, das belegen zum Beispiel unsere beiden Exzellenzuniversitäten: die TUM und LMU in München. In nationalen wie internationalen Rankings belegen unsere Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften beziehungsweise Technischen Hochschulen regelmäßig vordere Plätze. Auch unsere Kunsthochschulen wie die Hochschule für Fernsehen und Film in München sind Kader- und Innovationsschmieden, wenn ich an große Namen wie Roland Emmerich, Wim Wenders und Florian Henckel von Donnersmarck oder den Schwerpunkt VFX/Visual Effects denke. Diesen Anspruch, ganz vorne mit dabei zu sein, haben wir auch für die Zukunft. Über die Hightech Agenda Bayern schaffen wir dafür die Voraussetzungen: Mit dem Hochschulinnovationsgesetz werden wir einen deutschlandweit einmaligen Systemwandel herbeiführen. Die Digitalisierung wird vorangetrieben und auch die bauliche Infrastruktur werden wir noch weiter optimieren.
Judith Gerlach: Die Forschung im Bereich der Digitalisierung ist hart umkämpft. Bayern ist hier im nationalen und internationalen Vergleich gut dabei. Wir wollen aber auch künftig in der Weltspitze mitspielen. Genau da setzt die Hightech Agenda an. Allein 360 Millionen Euro gehen in die Forschung zu KI. Hier befinden wir uns in einem internationalen Wettkampf um die klügsten Köpfe. Um vorne dabei zu sein, errichten wir 100 neue KI-Lehrstühle – das sind so viele wie der Bund insgesamt für ganz Deutschland plant.
Wir investieren aber auch in die nächsten digitalen Treiber. Mit der Bayerischen Quanteninitiative aus der Hightech Agenda Plus stärkt der Freistaat die Quantentechnologien. Allein für die kommenden zwei Jahre sind hierfür je bis zu 60 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln vorgesehen.