Wie ein Münchner Zukunftslabor Entscheidungsträgern wichtige Informationen für weltweite Projekte liefern möchte – und das mit Daten aus 300 bis 800 Kilometern Entfernung aus dem Weltraum.
Stellen Sie sich vor, es gäbe die Möglichkeit, mit einem Blick festzustellen, wie sich Naturgewalten auf bestimmte Städte und Regionen auswirken könnten, wie sich unsere heimische Natur im Laufe der Jahre entwickelt oder wie es um die Ernährung der Weltbevölkerung steht. Man müsste ein Gebiet über einen längeren Zeitraum beobachten und schauen, wie man Veränderungen sichtbar macht. Genau daran arbeitet seit diesem Jahr Prof. Xiaoxiang Zhu, Professorin für Signalverarbeitung in der Erdbeobachtung, mit ihrem Team des Zukunftslabors AI4EO („Artificial Intelligence for Earth Observation“). Es wird von der Technischen Universität München geleitet und in der Forschungsarbeit eng vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen unterstützt. „Unsere Erdbeobachtung findet auf der Grundlage von Satellitendaten statt und um dieser riesengroßen Datenmenge Herr zu werden, nutzen wir Künstliche Intelligenz. Mithilfe dieser Daten und intelligenter Big-Data-Analyse können wir die globale Urbanisierung, die Ernährung der Weltbevölkerung sowie das Management von Naturgefahren modellieren. Auf diese Weise können die smarten Daten aus dem All Entscheidungsträgern am Boden beispielsweise helfen, nachhaltige und lebenswerte Städte zu gestalten oder Waldbrände frühzeitig einzudämmen“, so Zhu. Die multispektralen Bilder der Satelliten sind hier der Schlüssel zum Erfolg. Am Beispiel Nahrung und Ernährung lässt sich das sehr gut verdeutlichen. Dadurch dass unterschiedliche Pflanzen verschiedene Reflexionseigenschaften aufweisen, lassen sich Kulturarten identifizieren, die Gesundheit von Pflanzen überwachen und sogar Erträge vorhersagen.
Hervorgegangen ist das internationale Zukunftslabor aus einem Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Neben München gibt es noch zwei weitere Forscherteams in Berlin und Hannover, die ihre gemeinsame Forschung zu aktuellen Fragen der Künstlichen Intelligenz in diesem Jahr begonnen haben. Alle werden über einen Zeitraum von drei Jahren mit jeweils bis zu fünf Millionen Euro gefördert. „Mir ist es wichtig, dass wir mit unserer Arbeit zeigen, dass KI noch mehr ist als Robotik, autonomes Fahren oder Spracherkennung. Für den Bereich Erdbeobachtung ist zusammen mit dem DLR und der TUM ein richtig großes Netzwerk an Forschungsgruppen geschaffen worden. Auch die Helmholtz-Gemeinschaft stärkt das Thema Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen und hat dazu die Helmholtz Artificial Intelligence 2019 gegründet.“
Bereits vor zwei Jahren wurde die TUM als eine der zehn Hochschulen mit dem größten Forschungseinfluss auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz vom britischen Magazin „Times Higher Education“ ausgezeichnet. „Mit der Erdbeobachtung werden wir weltweit momentan auf Platz acht gelistet. Nun müssen wir weiterhin daran arbeiten, die bayernweite Expertise auf dem großen Feld der KI noch besser zu bündeln und nachhaltig zu erhalten. Dafür braucht es auch Förderungen und Maßnahmen aus der Politik, die uns zeigen, dass man nicht nur auf kurze Sicht handelt, sondern dass man gemeinsam an der Entwicklung eines bayernweiten Kompetenzzentrums KI für die Erdbeobachtung arbeitet“, so Professor Zhu.
Eine der größten Herausforderungen ist allerdings der wissenschaftliche Nachwuchs. Denn gerade im Bereich der KI stehen die Forschungszentren und Universitäten im Wettbewerb um die besten Wissenschaftler und Mitarbeiter mit großen Unternehmen wie Google oder Amazon. „Deswegen wurde vor zwei Jahren auch die Munich School of Data Science gegründet, um den eigenen Nachwuchs zu fördern und die nächste Generation an Wissenschaftlern auszubilden.“
Dass es den Nachwuchs gerade am Beispiel der Erdbeobachtung dringend braucht, wird klar, wenn man sich einmal die auszuwertenden Daten eines Erdbeobachtungssatelliten vor Augen führt: Die neueste Satellitengeneration liefert Petabytes an Bild- und Messdaten, was einer Speicherkapazität von 1015 Bytes entspricht. Also ein riesiges Datenaufkommen, das es zu erforschen gilt – für Professor Zhu und ihr Zukunftslabor, aber vor allem auch für die nächste Forschergeneration „Made in Bavaria“.