Interview
Arbeitsmarkt der Zukunft - soziale Fähigkeiten werden immer wichtiger

Wird es meinen Beruf in 20 Jahren noch geben? Teile ich mir mit einem Roboter das Büro? Und was kann ich heute schon in meinem Beruf tun, um mich für die Digitalisierung fit zu machen? Dr. Simon Janssen, Weiterbildungsexperte am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, spricht im Interview mit der HERZKAMMER über den Arbeitsmarkt der Zukunft.

Herr Janssen, ist die Angst begründet, dass in Zukunft immer mehr Arbeitsplätze wegdigitalisiert werden?

Niemand von uns kann wirklich sagen, wie die Zukunft wird. Durch technologischen Fortschritt sind in der Vergangenheit allerdings immer neue Jobs entstanden, alte haben sich verändert oder sind weggefallen. Als das Auto erfunden wurde, hatten natürlich viele Kutscher Angst um ihren Job, aber so entstand zum Beispiel die Tourismusindustrie, es wurden Straßen gebaut und so weiter. Bisher war es immer so, dass die Beschäftigung weiter angestiegen ist.

Es gibt eine Studie der Oxford-Universität (Frey/Osborn), in der es heißt, dass durch den digitalen Wandel des Arbeitsmarktes 47 Prozent der Jobs zur Disposition stehen.

Ich sehe die Ergebnisse der Studie kritisch, denn was macht sie? Sie schaut sich Tätigkeiten an in verschiedenen Berufen, dann wird durch Experten bewertet, welche Tätigkeiten sich nach heutigem Stand durch Technologie ersetzen lassen und dann wird das Ganze sozusagen durchgerechnet. Das berücksichtigt aber eben nicht die Jobs, die noch entstehen. Die Wissenschaftler führen an, wie viele Berufe zu 70 Prozent automatisiert werden. Das heißt aber letztendlich noch nicht, dass der gesamte Beruf ersetzt wird – wenn etwa die verbleibenden 30 Prozent des Berufes sehr wichtig sind oder durch Maschinen sogar produktiver werden. Der Arzt ist da ein gutes Beispiel. Es gibt große Datenbanken, in denen Symptome mit Krankheiten verlinkt werden. Die Frage ist: Ersetzt das den Arzt oder macht das den Arzt produktiver, wenn er sehr schnell auf Diagnosen weltweit zurückgreifen kann? Er steht vor einer Krankheit, die er selbst noch nicht gesehen hat. Früher hat das sehr lange gedauert, bis er die Informationen dazu gefunden hat und vielleicht wurde auch eine Fehldiagnose gestellt. Vielleicht hilft es ihm heutzutage und die übrigen 30 Prozent werden dadurch produktiver. Selbst Elon Musk hat ja vor drei Jahren gesagt, dass er glaubt, dass 60 Prozent aller Beschäftigten ihren Job verlieren werden. Vor einem Jahr meinte er dann, er habe die Technik doch überschätzt, als es mit Tesla dann nicht so gut lief.

Welche Bereiche sind am meisten „gefährdet“?

Bisher können insbesondere Tätigkeiten automatisiert werden, die bestimmten Routinen folgen und sich programmieren lassen. Routine muss nicht nur das Manuelle sein, beispielsweise folgt Schach einer bestimmten Routine, es hat klar definierte Ziele. Letztendlich kann kein Mensch mehr auf der Welt einen Computer besiegen. Aber in unserer Arbeitswelt ist es so, dass sich die Ziele ständig ändern. Wenn man sich also beim Schach vorstellt, man würde das Ziel jedes Mal ändern – etwa derjenige würde das Spiel verlieren, der den zweiten Bauer verliert – dann hätte es eine Künstliche Intelligenz ziemlich schwer zu gewinnen.

Natürlich kann man sich vorstellen, dass so auch viele Tätigkeiten automatisiert werden können, die heute vielleicht von gut ausgebildeten Personen durchgeführt werden.

Allerdings gibt es Jobs, die überhaupt keinen Routinen folgen: Sie möchten zum Beispiel eine Firma gründen oder ein Produkt in einem Land einführen, über das wenig bekannt ist oder Sie selbst wissen noch nicht, wie das Produkt dort ankommt.

Werden Roboter eines Tages unsere Kollegen sein?

Sind sie das im Prinzip nicht jetzt schon? Der Computer, mit dem wir arbeiten, bewegt sich zwar nicht, aber letztendlich ist das natürlich ein Roboter in dem Sinne, dass er große Mengen von Daten verarbeitet. Und wenn man sich mal die Produktion anschaut von bestimmten Autoherstellern, gibt es Industrieroboter ja auch nicht erst seit gestern. Die Digitalisierung verändert vielleicht, dass diese Roboter stärker miteinander kommunizieren.

Ich denke, es wird sich schon dahin entwickeln, dass Mensch und Roboter stärker zusammenarbeiten. Die Frage ist eben, wie schnell das geht und wie sich der Arbeitsmarkt bis dahin verändert. Es gibt dieses Paradox, dass wir vielleicht kurzfristig die Technologie überschätzen, aber langfristig unterschätzen, weil wir die Technologie selbst vielleicht noch nicht so wirklich verstehen. Das wirkt dann manchmal etwas wie Magie. Vielleicht trauen wir der Technologie kurzfristig mehr zu, unterschätzen aber langfristig die schleichenden Prozesse.

Durch die Pandemie arbeiten viele Menschen im Homeoffice und vernetzen sich dort digital. Welche langfristigen Auswirkungen sehen Sie dadurch auf unsere Arbeitsroutinen? Wird es künftig in vielen Berufen egal sein, von wo aus wir arbeiten?

Die bisherigen Ergebnisse zeigen recht eindeutig, dass viele Unternehmen in sehr kurzer Zeit das Arbeiten im Homeoffice eingeführt oder ausgeweitet haben. Ob diese Firmen auch künftig verstärkt auf das Arbeiten im Homeoffice setzen, wird davon abhängen, wie produktiv und effizient die Arbeitsprozesse im Homeoffice wirklich sind.



Auch Präferenzen der Mitarbeiter werden eine Rolle spielen. US-amerikanische Forscher haben beispielsweise die Einführung von Homeoffice in einem großen chinesischen Reiseunternehmen untersucht. Zwar waren die Beschäftigten im Homeoffice im Durchschnitt produktiver als die Beschäftigten im Büro. Dennoch wünschten sich viele der betroffenen Personen, nach Abschluss des Experiments wieder vollständig ins Büro zurückkehren zu dürfen. Im Rahmen des Experiments wurden allerdings ausschließlich Telefonisten/-innen untersucht. Meine Vermutung ist, dass sich die zukünftige Anwendung von Homeoffice zwischen den einzelnen Branchen und Berufen sehr stark unterscheiden wird. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das Gros der deutschen Beschäftigten in Zukunft ausschließlich von zu Hause arbeiten wird. Vermutlich werden aber viele Unternehmen ihre Präsenzzeiten flexibilisieren.

Bild zum Beitrag "Arbeitsmarkt der Zukunft"
...
@Andziy – iStock-Photo.com

Bleibt durch digitales Arbeiten auch etwas „auf der Strecke“? Ändert sich dadurch eventuell die Kultur eines Unternehmens?

Die bestehende Forschung legt nahe, dass die räumliche Nähe für Unternehmen sehr wichtig ist, insbesondere wenn es um Innovation geht. Neueste Studien zeigen sogar, dass es Verdichtungseffekte innerhalb einer Nachbarschaft, ja sogar innerhalb eines Gebäudes gibt. Derartige Effekte lassen sich schwer ohne interpersonale Kontakte erklären und legen nahe, dass in der virtuellen Welt durchaus etwas auf der Strecke bleibt.

Welche Jobs werden die stärkste Veränderung erfahren?

Einer gewissen Veränderung sind sicher alle Jobs unterworfen. Überwiegend sind es die Berufe im verarbeitenden Gewerbe, beispielsweise die Helfertätigkeiten am Band, die immer stärker automatisiert werden. Die Frage ist aber immer, ob das effizient ist. Die Smart Factories bei Siemens haben beispielsweise extrem hohe Margen und stellen sehr viele Produkte her. Da ist die Frage, ob es sich lohnt. Bei kleineren Mengen lohnt es sich vielleicht nicht zwangsläufig. Automation ist ja auch immer fehleranfällig, muss reprogrammiert werden, man braucht Spezialisten dafür. Manchmal geht es dann vielleicht schneller, wenn man es einen Menschen machen lässt.

Urbaner Landwirt, Haustier-Psychologe: Welche neuen Berufe kommen dazu? In welchen konkreten Bereichen?

Ich glaube nicht, dass dies die Berufe sein werden, die die Beschäftigung der Zukunft sichern werden (lacht). Was ich mir aber vorstellen kann, ist, dass insbesondere kreative und abstrakte Berufe wichtiger werden. Man kann sich vorstellen, dass wir vielleicht unseren Kindern erzählen werden, sie sollen doch Musiker oder Künstler werden, weil sich das nicht leicht ersetzen lassen wird. Wir haben Leute, die mit Youtube Millionen verdienen, weil sie über Videos Schmink-Tipps geben – das hätte man sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können. Das ist allerdings auch nicht die breite Masse.

Sind wir in Bayern und in Deutschland gut gerüstet für den digitalen Wandel?

Wenn es um KI geht, sind die USA und China, vielleicht auch Frankreich noch stärker als Deutschland. Aber ich merke schon auch, dass hier viel getan und investiert wird. Die Anzahl an Patenten und Software ist sicher in den USA deutlich höher als in Deutschland. Allerdings zeichnet sich Deutschland sehr stark aus durch die sogenannten „Hidden Champions“, viele kleine und mittlere Betriebe, die gerade im verarbeitenden Gewerbe Weltmarktführer sind, in der Öffentlichkeit aber nahezu unbekannt.

Erfährt der digitale Wandel durch die Pandemie den entscheidenden Push?

Wir sehen, dass viele Weiterbildungen im Zuge der Corona-Krise kurzfristig in den digitalen Raum verlegt wurden. Derartige Ergebnisse legen in der Tat nahe, dass die Corona-Krise den digitalen Wandel beschleunigt. Allerdings bedarf es noch Einiges an Forschung, bevor wir das gesamte Ausmaß wirklich beurteilen können.

Welche gesellschaftlichen Auswirkungen wird dieser Prozess haben?

Das ist wieder der Blick in die Kristallkugel und es gibt sehr viele verschiedene Szenarien, die man sich vorstellen kann. Die Fürsprecher des bedingungslosen Grundeinkommens gehen davon aus, dass es eine gesellschaftliche Schicht gibt, die sehr produktiv wird und sehr viel Einkommen generiert. Das wird dann an die Menschen umverteilt, die auf dem Arbeitsmarkt keinen Platz mehr haben. Ich bin hier kritisch und kann mir vorstellen, dass das enormen sozialen Sprengstoff birgt, weil sich das sehr stark auf das Wertgefühl der einzelnen Personen auswirkt. Ich selbst bezweifle, dass das ein Zukunftsmodell ist.



Ich glaube nicht, dass es eine große Schicht der Bevölkerung gibt, die sich gar nicht mehr beschäftigen lässt. Bisher haben die Menschen sich immer etwas ausgedacht, was sie produktiv sein lässt. Und immer gab es auch diese Angst. Sie können sich SPIEGEL-Artikel aus den 1960er oder 1980er-Jahren anschauen, es ist immer dasselbe Thema.

Wie sollte die Politik diesen Prozess begleiten?

Wachsamkeit ist definitiv wichtig. Sich ständig informieren, den Arbeitsmarkt beobachten, die Veränderungen registrieren, gewappnet sein. Aber ich glaube, man kann die Menschen auch nicht auf etwas vorbereiten, was man selbst nicht kennt. Darüber hinaus ist ja die Frage, ob es tatsächlich der technologische Wandel ist, der die Gesellschaft umwälzt. Vielleicht sind es ja auch andere Dinge, die momentan passieren: Wir schrauben die Barrieren des Handels wieder hoch, es gibt ein neuartiges Virus, das sich weltweit verbreitet. Das sind alles Dinge, die kurzfristig stärkere wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen nach sich ziehen als der technologische Wandel, der eher langsam voranschreitet.

Was kann ich persönlich heute in meinem Beruf schon tun?

Was natürlich durch die Bank wichtiger wird, sind Fähigkeiten im Bereich IT, Programmierkenntnisse. Den Umgang mit diesen neuen Technologien sollte man nicht verpassen. Wir sehen aber interessanterweise auch, dass soziale Fähigkeiten immer wichtiger werden. Und da gibt es verschiedene Theorien dazu: Eine ist, dass wir uns aufgrund der Technologisierung immer mehr spezialisieren, in größeren Teams zusammenarbeiten und wenn wir nicht miteinander kommunizieren können, wird es schwierig. Generalisten sterben zwar nicht aus, aber die Tätigkeiten sind so komplex, dass einer allein nicht mehr Herr der Lage ist und wir mehr interagieren müssen.

Bild zum Beitrag "Arbeitsmarkt der Zukunft"
Dr. Simon Janssen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Er war nach seiner Promotion ein Jahr Post-Doctoral Research Fellow an der Universität Princeton und als Gastwissenschaftler an der Graduate School of Business in Stanford tätig. Janssen forscht in den Bereichen Arbeits-, Personal- und Bildungsökonomie.
@Dr. Simon Janssen
Bildquelle Header: Drazen_ – iStock-Photo.com