Auf dem Weg zu einer wirksamen Entwicklungspolitik führt an Technologie und Digitalisierung kein Weg vorbei. Klaus Steiner, Experte für Entwicklungspolitik der CSU-Fraktion, über die Chancen von Hightech für Afrika.
Im Gegensatz zu den südostasiatischen Staaten hat es der afrikanische Kontinent bei der wirtschaftlichen Entwicklung immer noch schwer. Die Gründe liegen in erster Linie in der Komplexität afrikanischer Gesellschaften. Mit Schuldenerlass oder mehr Geld allein drängen wir vor allem Regierungen der afrikanischen Staaten in eine Lethargie und entlassen korrupte Regierungscliquen in eine bequeme Verantwortungslosigkeit. Zudem gibt es eine immense Zahl an privaten Initiativen, Hilfsorganisationen oder staatlichen Projekten. Vieles ist gut gemeint, aber nicht alles ist gut gemacht. Es mangelt oftmals an Abstimmung und Vernetzung. So kann es passieren, dass wenige Kilometer voneinander entfernt Krankenhäuser, Schulen oder Brunnen entstehen – ohne Synergien zu schaffen oder eine gemeinsame Infrastruktur aufzubauen.
Meine Forderung: Entwicklungspolitik braucht eine neue Definition und Ausrichtung. An erster Stelle muss Sicherheit für die Menschen und gute Regierungsführung stehen. Ein weiterer Schwerpunkt ist Bildung und Digitalisierung. Digitalisierung ist hier das Stichwort. Schon jetzt verbessern technische Entwicklungen das Leben von Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent.
Ein Beispiel: Ein Landwirt in Tansania betreibt seit einiger Zeit eine kleine Solaranlage auf dem Dach. Mit dem erzeugten Strom können seine Kinder seither auch nach Einbruch der Dunkelheit in ihren Schulbüchern lesen und lernen. Via Handy-App steuert die Familie nicht nur den Betrieb der Anlage, sondern auch die Finanzierung: Kleinstraten von 40 Cent pro Tag machen es möglich, dass sich der Landwirt die Stromversorgung leisten kann. Weit mehr als 600 Millionen Menschen in Afrika leben immer noch ohne Strom. Ihr Leben könnte sich dank digitaler Technik entscheidend verbessern.
Handygestützte Systeme zum Beispiel bieten die Chance für sicheren Geldtransfer. Um Verwandten in weiter entfernten Gegenden Geld zukommen zu lassen, müssen die Menschen es nicht länger Boten und Fahrern mitgeben – in der Hoffnung, dass das Geld vollständig und sicher beim Empfänger ankommt.
Inzwischen gibt es kaum einen Lebensbereich, der nicht digitalisiert wird: Kleinbauern nutzen Handy und Apps, um sich über Sturmwarnungen oder aktuelle Preise für ihre Produkte zu informieren. Pendler buchen ihr Busticket online, Patienten können ihre Arztbesuche über ein handygestütztes Konto abrechnen. Selbst die in Afrika allgegenwärtigen Beerdigungsvereine, in denen die erheblichen Kosten eines Begräbnisses umgelegt werden, werden inzwischen von Softwareprogrammen verwaltet.
In Nairobis Gearbox, einer zweistöckigen Werkstatt im alten Industrieviertel der Stadt, werden derzeit 3D-Scanner aus recyceltem Material gefertigt und Fahrradrahmen mit integriertem Solarpanel zusammengeschweißt, die die Kühltruhen mobiler Eisverkäufer speisen können. In einem Labor arbeitet ein Ingenieur an einer elektronisch gesteuerten Chili-Kanone, die Elefanten von menschlichen Siedlungen fernhalten soll.
Die Afrikanische Entwicklungsbank rechnet vor, dass in den kommenden drei Jahren im IT-Sektor des Kontinents mindestens zwei Millionen Jobs geschaffen werden könnten. 70 Prozent der Afrikaner verfügen über ein Handy. Hätten diese 70 Prozent auch Zugang zum Internet – derzeit sind es nur 20 Prozent – würde laut einer McKinsey-Erhebung das Bruttoinlandsprodukt um 300 Milliarden Dollar zunehmen. Das wäre ein Fünftel des derzeitigen Volumens. Allein in Südafrika, prophezeit die Beratungsfirma Accenture, könnte die weitere Digitalisierung für eine Wertschöpfung von mehr als 300 Milliarden Euro sorgen.
Digitalisierung kann auch der Schlüssel für mehr Nahrungsmittelsicherheit und eine bessere Qualität von Lebensmitteln sein. Beispiel Ghana: Dort bewirtschaften Kleinbauern ihre Felder mit Unterstützung von Apps, die bei den verschiedenen Arbeitsphasen unterstützen. Ist jetzt die richtige Zeit zum Pflanzen oder Unkraut jäten? Wann soll ich den Kakao oder den Mais ernten? Wie kann ich Pilze oder Pflanzenkrankheiten frühzeitig erkennen? Auf diese Fragen bekommen die Bauern im wörtlichen Sinne eine Antwort – die Landwirtschafts-App spricht, denn nur wenige Kleinbauern können lesen. Der Zeitpunkt für IT-Lösungen in der afrikanischen Landwirtschaft ist gut: Drei von fünf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen weltweit liegen in Afrika, werden aber bislang kaum genutzt.
Entwickler arbeiten in Start-ups gezielt an Lösungen für spezifisch afrikanische Herausforderungen. Tro-Tro Traktor, ein Start-up aus Ghana, hat sich zum Ziel gesetzt, ein Verleihnetzwerk für Landmaschinen aufzubauen. Den Einsatz bezahlt der Kleinbauer schon bei der Buchung mit dem Handy. Die positiven Folgen: mehr Produktivität, höhere Erträge pro Hektar, mehr Einkommen auf dem Land und damit mehr ländliche Entwicklung. Und das ist notwendig, denn bisher importiert Afrika jährlich Lebensmittel im Wert von 30 Milliarden US-Dollar. Dabei könnte sich der Kontinent selbst ernähren. Deutschland unterstützt den Aufbau solcher Start-ups.
In München hat das UN-Welternährungsprogramm (WFP) im Juli 2016 den World Food Programme Innovation Accelerator gegründet, ein Innovationszentrum, das technologische Möglichkeiten identifizieren und fördern soll, um effektiver in humanitären Krisen helfen zu können und nachhaltige Entwicklungsziele bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Um eine Welt ohne Hunger zu erreichen und Afrika wirklich nachhaltig in seiner wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen, müssen wir humanitäre Hilfe mit den technologischen Innovationen des 21. Jahrhunderts verzahnen.