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Interview mit Rüdiger Maas, Institut für Generationenforschung
„Generationen müssen sich aufeinander einlassen“
Lesezeit: 5 Minuten

Generationenkonflikte, starre Einteilungen in XYZ, Vorurteile und Neid: So wird das Zusammenleben der unterschiedlichen Generationen oft dargestellt. Aber ist das wirklich so? Im Interview mit der HERZKAMMER erklärt Generationenforscher Rüdiger Maas, wie es zu den Einstellungsunterschieden zwischen Generationen kommt und warum Generationen viel mehr aufeinander zugehen sollten.

HK: War früher wirklich alles besser? Haben sich Generationen besser verstanden, weil es z.B. selbstverständlich war, dass in einem Haus mehrere Generationen unter einem Dach gelebt haben?

Um bestimmen zu können, ob es früher besser war als heute, müsste es einen Fixpunkt in der Vergangenheit geben, zu dem wir im Heute hinstreben müssten. Doch die Welt entwickelt sich weiter, ein Streben in die Vergangenheit verhindert Fortschritt und ist mit dem heutigen Wissen oft auch nicht sinnvoll. Auch gehen wir nicht davon aus, dass intergenerationelles Verständnis ohne räumliche Trennung besser wäre. Was jedoch anders sein kann, wenn mehrere Generationen unter einem Dach leben, ist die Konfliktkultur: Die Beteiligten können Konflikten nicht so schnell aus dem Weg gehen, indem sie sich räumlich separieren. Konflikte werden wahrscheinlich häufiger offen ausgetragen, was nicht zwangsläufig gut oder schlecht ist. Denn bei Konflikten kommt es immer darauf an, dass die Beteiligten wieder zusammen an einen Tisch finden.

HK: Boomer, Generation X, Generation Y und Generation Z: Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten gibt es? 

Die Generation der Babyboomer ist die größte Jahrgangsspannenkohorte seit dem zweiten Weltkrieg. Man musste sich an manchen Stellen auch mal mit Ellenbogenmentalität und Durchhaltevermögen durch die Konkurrenz durchkämpfen. Geboren wurden Sie zwischen 1950 und 1969 (ab 1969 ging die Geburtenzahl dank der Antibabypille zurück). Um Erfolg zu haben, mussten sie Entbehrungen in Kauf nehmen und Anstrengungsbereitschaft zeigen. Sie sind das Pendant zur Generation Z, der kleinsten Alterskohorte seit dem zweiten Weltkrieg. Aufgrund des Arbeitnehmermarktes bewerben sich jetzt quasi die Arbeitgebenden bei den jungen Arbeitnehmenden. Die Alterskohorte der 1997 bis 2009 Geborenen hat durch ihre zahlenmäßige Unterlegenheit die Möglichkeit, ihre Forderungen durchzusetzen, schließlich werden sie händeringend am Arbeitsmarkt gebraucht. Bei den Angehörigen der Generationen X (Geburtenjahrgänge 1970 – 1979) und Y (Geburtenjahrgänge 1980 – 1997) sehen wir nur marginale Unterschiede.  

HK: Welche Konflikte am Arbeitsplatz sehen wir? Fehlt einfach die Bereitschaft zum gegenseitigen Verständnis und pflegt man stattdessen lieber Vorurteile? 

Konflikte am Arbeitsplatz rühren vor allem von unterschiedlichen Erfahrungshorizonten her. Beispielsweise sind die Babyboomer, die derzeit noch einen Großteil der Führungspositionen bekleiden, in einer vollkommen anderen Welt groß geworden als die Angehörigen der Generation Z. Entbehrungen zu machen, sich durchzusetzen oder Überstunden zu machen ist für viele GenZ´ler schlichtweg nicht nötig. Diese unterschiedlichen Erfahrungshorizonte führen dazu, dass die eine Generation das Gefühl hat, die andere in ihrem Denken und Handeln nicht verstehen zu können. Wenn Vertreter einer Generation nicht dazu bereit sind, die Erfahrungshorizonte einer anderen Generation nachzuvollziehen und sich selbst mit ihrem Urteil zurückzunehmen, dominieren Vorurteile und Stereotype den gegenseitigen Umgang. 

HK: Wie können Generationen besser voneinander profitieren? 

Jede Generation bringt ihre Eigenheiten mit, die Vor- als auch Nachteile für den gegenseitigen Umgang bieten. Voneinander zu profitieren ist nur dann möglich, wenn die Vertreter verschiedener Generationen Respekt für die Andersartigkeit einer anderen Perspektive zeigen. Das bedeutet, sich aufeinander einzulassen und bereit sein, zuzuhören und von der anderen Perspektive zu profitieren. Doch das können nicht alle Menschen gleich gut. 

HK: Wenn die Boomer in Rente gehen, sieht es für den Arbeitsmarkt nicht gut aus. Wie können Firmen, wie kann auch die Politik hier gegensteuern? 

Firmen sollten nur die Bewerber einstellen, von denen sie wirklich überzeugt sind. Aus Angst, eine Stelle nicht besetzen zu können, kurzerhand die einzige bewerbende Person einzustellen, die nicht wirklich ins Stellenprofil passt, kann nach hinten losgehen. Denn eine Person, die die Ausbildung abbricht, große Fehlzeiten aufweist oder nach kurzer Zeit kündigt, kostet das Unternehmen mehr, als noch etwas auf Bewerberinnen und Bewerber zu warten, die wirklich zum Unternehmen passen. Die Politik hat in den vergangenen Jahrzehnten versäumt, was ebenso lange klar war: Dem riesigen Arbeitnehmermarkt durch den soziodemografischen Wandel entgegenzusteuern. Wenn sich kurzfristig nichts an der Migrationspolitik ändert, sodass mehr qualifizierte Menschen die Möglichkeit haben, die Lücken auf dem Arbeitnehmermarkt zu füllen, werden wir langfristig unseren Personalmangel weiter verschärfen. 

HK: Der soziale Aspekt: Wie wirken sich Generationenunterschiede auf Freundschaften, auf Sportvereine, auf ehrenamtliches Engagement aus? Provokativ und wieder ein Vorurteil: Sind die „Jungen“ weniger engagiert? 

Aus eine unserer Studien mit mehr als 5.000 Teilnehmern aus dem Jahr 2023 wissen wir: Jeder von uns hat durchschnittlich 1,17 Freunde, die mindestens 15 Jahre jünger sind und durchschnittlich 1,62 Freunde, die mindestens 15 Jahre älter sind. Intergenerationelle Freundschaften sind auch heute noch eine wichtige Ressource für das Wohlbefinden, denn wir konnten herausfinden, dass Menschen, die mehr Freunde haben, sich seltener einsam fühlen und optimistischer in ihre Zukunft blicken. 

Vereine müssen heutzutage mit den Sozialen Medien um die Zeit der jungen Menschen konkurrieren. Das Netz bietet jungen Menschen die Möglichkeit, sich auf vielfältigste Weise auszuprobieren. Diese Optionsvielfalt sehen sie auf den ersten Blick nicht in der analogen Welt, wie im Vereinsleben. Hier besteht die Aufgabe der Vereinsverantwortlichen, den Jungen diese Welt schmackhaft zu machen. Engagiert sind die Jungen daher nicht unbedingt weniger als ältere Menschen, aber in anderen und häufig nicht-analogen Bereichen. 

HK: Werden wir durch Social Media, das Internet und die Digitalisierung „un-sozialer“ und verlieren an Sensibilität für unsere Umwelt und andere Menschen? Wenn ja, was können wir dagegen tun?

Es gibt einige Forschungen in der Cyber-Psychologie, die davon ausgehen, dass die lange Zeit, die junge Menschen täglich in der digitalen Welt verbringen, dazu führen kann, dass weniger Zeit für soziale Kontakte in der analogen Welt bleibt. Junge Menschen müssen seltener Gesichtsausdrücke interpretieren, Stimmungen antizipieren und auf den Gegenüber reagieren, was zu einer Reduktion der Empathie führen kann. Hier sind sie schlicht schlechter „trainiert“, was zu einer Abnahme an Sensibilität für die Umgebung führen könnte. Doch die Forschungslage ist hierzu noch nicht eindeutig. Fakt ist aber, dass durch lange digitale Nutzungszeiten weniger Zeit bleibt, um sich in der analogen Welt zu bewegen und sich mit anderen Menschen auszutauschen. Eine größere Unsicherheit in analogen Begegnungen ist daher wahrscheinlich. 

HK: Was kommt in Zukunft? Was zeichnet die Generation alpha aus?

Die Generation Alpha (Geburtenjahrgänge ab 2010) wächst in Deutschland durchschnittlich in einem noch nie dagewesenen Wohlstand auf. Vieles, worauf ältere Generationen in Kindesjahren verzichten mussten, gehört für die Alphas zur Normalität. Zudem haben die Eltern der Alphas durchschnittlich mehr Zeit für ihren Nachwuchs. Das ist mitnichten schlecht, doch trägt das häufig zu überbehütenden Verhaltensweisen der Eltern bei, wie wir in unserer Generation-Alpha-Studie aus dem Jahr 2021 nachweisen konnten. Eltern überbehüten ihre Kinder häufig aus Angst, ihnen könnte etwas zustoßen. Doch tatsächlich sind negative Erfahrungen und Frust für die kindliche Entwicklung unabdingbar. Erst dann kann das Kind eigene Bewältigungsstrategien entwickeln und lernen, sich selbst zu helfen. Ein überbehütender Erziehungsstil verunmöglicht altersadäquate Erfahrungen. 

HK: Kurz zu Ihnen: Wie sind Sie überhaupt auf Generationenforschung gekommen? Gab es ein einschneidendes Erlebnis? 

Immer mehr Unternehmen kamen vor einigen Jahren auf mich zu, weil sie das Gefühl hatten, die Jungen nicht mehr zu verstehen. Da viele Daten, die es bis dato gab, oft sehr widersprüchlich waren fingen wir an selbst zu forschen. Mit unserer Generation-thinking-Studie aus dem Jahr 2018 nahmen wir das erste Mal die Angehörigen der Generation Z genauer unter die Lupe und konnten Einstellungsunterschiede zwischen jüngeren und älteren Generationen ausmachen. Mittlerweile hat sich am Institut für Generationenforschung ein interdisziplinäres Team aus Psychologen, Soziologen, Philosophen und Wirtschaftswissenschaftlern entwickelt, das gesellschaftliche Trends untersucht und sich immer wieder die Frage stellt, ob an all den medialen Stereotypen und Pauschalierungen über Generationen, wirklich etwas „dran“ ist.
 

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Vortrag von Rüdiger Maas "Novum: Digitalization"
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