Wie soll der neue Skatepark aussehen? Wo brauchen wir einen Fahrradweg? Soll auf dem Spielplatz lieber eine Seilbahn oder ein Spielturm stehen? Viele Gemeinden beteiligen bei solchen Entscheidungsprozessen Kinder und Jugendliche. Unterstützung bekommen sie dabei von der Fach- und Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung in Bayern. Projektkoordinator Clemens Scheerer erzählt im Interview mit der HERZKAMMER, wie solche Prozesse erfolgreich ablaufen können – und man Generationen zusammenbringt.
HK: Herr Scheerer, was genau macht die Fach- und Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung in Bayern?
Die Fach- und Servicestelle berät Mandatsträger und Verwaltungsmitarbeitende in Politik und Verwaltung, wie sie junge Menschen besser in politische Prozesse einbeziehen können. Es geht nicht klassisch darum, sich in einem Verband zu engagieren, sondern um die Mitwirkung an kommunalpolitischen Entscheidungen.
HK: Können Sie ein Beispiel nennen, wie so eine Beteiligung aussehen könnte?
Wenn man zum Beispiel einen Spielplatz plant, ist es ganz vernünftig, Kinder zu fragen: Was spielt ihr? Wie spielt ihr? Kinder haben ein sehr gutes Gefühl. In der Mobilitätsberatung gehen wir mit Kindern durch die Stadt und fragen sie: Fühlst Du Dich sicher? Wie sind die Verkehrswege? Wie sind die Radwege? Spannend ist, dass Kinder und Jugendliche ganz ähnliche Bedürfnisse haben wie ältere Menschen.
HK: Aus welchen Bereichen kommen die Akteure, die vernetzt werden?
Zunächst mal aus Politik und Verwaltung. Dann spielen noch die pädagogischen Fachkräfte in Schulen, Jugendzentren und Gemeinden und insbesondere noch die Vereine eine wichtige Rolle. Dort sind Menschen zu finden, die eine pädagogische Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen haben. Sie bauen dann die Brücken von den Erwachsenen zu den Jugendlichen.
Eine wichtige Aufgabe von uns ist es außerdem, gezielt Kinder und Jugendliche zu Jugendvertretern zu qualifizieren und sie auf Beteiligungsprozesse vorzubereiten. Wir bieten also Workshops an für beide Seiten. Zum Beispiel für Politik und Verwaltung: Wie arbeite ich gut mit meiner Jugendvertretung? Auf der anderen Seite schulen wir aber genauso die Jugendlichen und versuchen ihnen die Kenntnisse zu vermitteln, wie sie die Interessen von möglichst vielen Kindern und Jugendlichen vertreten können.
HK: Warum ist Jugendarbeit generell wichtig?
Man sagt ja immer, die Jugend ist die Zukunft. Man kann aber auch sagen: Die Jugend ist die Gegenwart. Jugendarbeit ist wichtig, weil wir in unserer Gesellschaft entschieden haben, dass wir einen demokratischen Weg gehen wollen und der funktioniert nur mit Bildung. Kinder spüren im Alltag, wenn sie beteiligt werden und das ist gelebte Demokratie. Es geht darum, diese gelebte Demokratie kennenzulernen. Daher ist Jugendarbeit so wichtig, weil so junge Menschen ein demokratisches Selbstverständnis entwickeln können.
HK: Inwiefern kann Kinder- und Jugendbeteiligung zur Stärkung der Demokratie beitragen?
Demokratie ist kein Wunschkonzert und das erwarten Kinder und Jugendliche auch nicht. Beteiligung hat einen Wirkungsanspruch, aber keine Wirkungsgarantie. Das heißt, wenn ich Kinder und Jugendliche beteiligen will, muss ich die Ergebnisse ernst nehmen, diskutieren und verlässlich eine Rückmeldung geben, wie darüber entschieden worden ist.
Um hier ein konkretes Beispiel zu nennen: Jugendliche haben sich in einer Kommune für das Freibad wärmeres Wasser gewünscht. Der Bürgermeister ist richtig ins Schwitzen gekommen, weil ihn zwei Grad mehr ungefähr 80.000 bis 100.000 Euro zusätzlich gekostet hätten. Er hat dann den Kindern vorgerechnet, was diese Forderung bedeuten würde und welche Konsequenzen dies für andere Projekte und Interessensgruppen im Gemeinwesen hätte. Als die Jugendlichen das gehört haben, wollten sie die Erhöhung gar nicht mehr.
HK: Welche Möglichkeiten der Beteiligung gibt es?
Es gibt Gemeinden, in denen es jährlich eine Jungbürgerversammlung und eine Jugendvertretung gibt, die in der Schule beworben wird. Es gibt aber auch Gemeinden ohne jegliche Möglichkeiten. Die richtige Kommunikation und Information entscheidet oft, ob ein Angebot angenommen wird oder nicht. Man muss Kindern und Jugendlichen auch zutrauen, dass sie es schaffen! Es macht schon einen Unterschied, ob ich eine Jugendvertretung nur am Gymnasium bewerbe, weil die Kinder eben den sozialen Background haben und die Unterstützung, so etwas zu leisten. Oder ich gehe auch an die Mittelschule oder in einem Förderzentrum aktiv auf die Schüler zu und nehme mir extra Zeit, die Jugendlichen zu motivieren und zu bestärken. Manchmal brauchen Jugendliche, die es etwas schwerer haben, am Anfang einen Tick mehr Aufmerksamkeit.
HK: Warum ist es so wichtig, dass Kinder und Jugendliche aktiv an Entscheidungsprozessen beteiligt werden?
Beteiligung stärkt und macht Kinder resilienter. Das Gefühl, etwas bewirkt zu haben, vergisst ein Kind nie mehr. Beteiligungen schafft tolle Demokratinnen und Demokraten. Kinder- und Jugendbeteiligung schützt auch die Demokratie und fördert und entwickelt sie. Dabei entstehen neue Formen der Teilhabe, mit denen in einer Gemeinde experimentiert werden kann, zum Beispiel ein Jugendforum. Das regt die ganze Gemeinde an, über Demokratie und Beteiligung nachzudenken. Und das schafft Generationengerechtigkeit und bringt Generationen zusammen.
Ich erinnere mich an ein Format, bei dem der Kämmerer mit verschränkten Armen dasaß und ganz viele Vorurteile gegenüber jungen Menschen hatte. Als sie dann zusammenkamen und die Jugendlichen sich wirklich für das Defizit im Haushalt interessiert haben, hat er gemerkt: ‚Oh, die sind ganz schön nett! Die interessieren sich wirklich für meine Arbeit.‘ So entsteht ein generationenübergreifender Kontakt.
HK: Wie kann man junge Menschen dafür begeistern, sich aktiv für die Demokratie zu engagieren?
Sie ernst nehmen und auf Augenhöhe mit ihnen Probleme besprechen. Ihnen Gestaltungs- und Entscheidungsmacht zusprechen, in dem Maße, in dem sie gestalten und entscheiden dürfen. Das zeigt Kindern und Jugendlichen, dass ihre Meinung wichtig ist. Eine der größten Barrieren, warum Kinder und Jugendliche sich nicht einbringen, ist die gefühlte Einflusslosigkeit. Es gilt, ihnen zu vermitteln: Ja, Du kannst etwas verändern!
HK: Die Fachstelle gibt es nun schon seit einigen Monaten. Können Sie schon einige Erfolgsgeschichten berichten?
Unser Peer-to-Peer-Ausbildungsprogramm, bei dem wir junge Leute zu Beteiligungs-Coaches ausbilden, die wieder junge Leute ausbilden, läuft sehr gut. Ein weiteres Highlight ist, dass wir viel Aufmerksamkeit bekommen. Viele Kommunen fragen uns nach Unterstützung. Schon drei bis sechs Monate Begleitung machen einen großen Unterschied.
Wenn Beteiligung gut organisiert ist, bringt sie der Verwaltung, dem Gemeinwesen und der Politik einen großen Mehrwert, weil nachhaltige Entscheidungen getroffen werden, die für viele Jahrzehnte gute Entscheidungen bleiben.