Interview mit Florian Herrmann, Leiter der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien
Wie viele Stunden Schlaf bekommen Sie im Moment?
Wir erleben eine Krise, wie wir sie in unserer Generation noch nie hatten. Die letzten Wochen und Monate waren für alle, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung tragen, extrem herausfordernd. Aber ein Schlafproblem habe ich Gott sei Dank nicht – man muss sich ja auch erholen.
Was macht Ihnen derzeit am meisten Sorgen und was stimmt Sie positiv?
Sorgen macht mir, dass einige nun vorschnell den bewährten Weg der Corona-Bekämpfung verlassen wollen. Ich kann nur vor Leichtsinn warnen. Es ist naiv zu glauben, Corona sei besiegt. Wer zu schnell lockert, riskiert einen Rückschlag. Solange etwa 98 Prozent der Bevölkerung anfällig für das Virus sind und es keinen Impfstoff gibt, ist es weiterhin nötig, Abstand zu halten, Masken zu tragen, um einen erneuten exponentiellen, also explosionsartigen Ausbruch zu verhindern. Positiv stimmen mich die Erfolge der vergangenen Wochen. Es ist uns gelungen, die Verbreitung des Corona-Virus deutlich einzuhegen. Die beschlossenen Ausgangsbeschränkungen, Betriebsuntersagungen, Meldepflichten und Notfallpläne haben zusammen mit dem schnellen Ausbau der medizinischen Behandlungskapazitäten eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert. Die Strategie der Staatsregierung mit frühzeitigen und konsequenten Schritten hat sich bestätigt. Das ermöglicht es nun, uns behutsam zurück ins Leben zu tasten – allerdings mit Corona.
In der Krise ist schnelles politisches Handeln gefragt. Wie arbeitet der Corona-Krisenstab? Wie oft tagt er, wer berät sich mit wem, wie werden die nächsten Entscheidungen für Bayern getroffen?
Die Staatsregierung arbeitet als Team hervorragend zusammen. Die grundlegenden Entscheidungen werden in den wöchentlichen Sitzungen des Ministerrates getroffen. Im Katastrophenmodus muss es aber noch deutlich schneller und zügiger funktionieren als sonst. Deshalb gibt es den Katastrophenstab, um sich auf kurzem Weg über die aktuelle Lage auszutauschen, wesentliche Entwicklungen zu überwachen und schnell Entscheidungen in Einzelfragen zu treffen. Der Katastrophenstab hat sich anfangs täglich getroffen und kommt inzwischen mehrfach in der Woche zusammen. Unter meiner Leitung sind hier alle Ressorts mit ihren Ministern oder Amtschefs und der Präsident unseres Landesamts für Gesundheit vertreten.
Innerhalb Deutschlands war Bayern vom Virus besonders betroffen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern hat der Freistaat schneller und länger mit einschränkenden Maßnahmen reagiert. Im Rückblick die richtige Entscheidung?
Eindeutig ja. Die Zahlen bestätigen die bayerische Strategie. Obwohl wir durch die Nähe zu Österreich und Italien vom Virus besonders betroffen waren, sind wir besser durch die Krise gekommen als viele andere. Der bayerische Weg zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist erfolgreich. Wir setzen ihn nun mit behutsamen Lockerungen Schritt für Schritt fort.
Eine weltweite Krise wie die Corona-Pandemie ist die Stunde des Staates und der Exekutive. Manche Menschen sehen das kritisch und haben Angst vor zu viel staatlichem Eingreifen. Was entgegnen Sie diesen Bürgern?
Freiheit braucht Sicherheit. Nur ein starker und handlungsfähiger Staat kann seine Bürgerinnen und Bürger wirksam schützen. Das ist unsere Maxime in Bayern. Dennoch verstehe ich Bürger, die bei sämtlichen Grundrechtseinschränkungen genau hinsehen. Ich sage aber auch: Wir haben uns die ergriffenen Maßnahmen nicht leicht gemacht, jedem nötigen Eingriff liegt ein sorgfältiger Abwägungsprozess zugrunde. Dabei haben wir alle Aspekte im Blick: die medizinischen und epidemiologischen, aber auch die Auswirkungen auf Menschen in Pflegeeinrichtungen, Schüler, Kinder, Unternehmen, unsere Gesellschaft ganz generell. Die Maßnahmen werden laufend von einer Monitoring-Gruppe mit einer Theologin und zwei ehemaligen OLG-Präsidenten überprüft. Alle obersten Gerichte haben in den wesentlichen Punkten die Rechtmäßigkeit, insbesondere die Verhältnismäßigkeit unseres Handelns bestätigt. Ich werbe um Vertrauen in unser staatliches Handeln und versichere den Menschen in Bayern, dass sämtliche Einschränkungen nach Überwindung der Krise zurückgenommen werden.
Beobachtet man die Diskussionen im Netz und die Demonstrationen, die auch in vielen bayerischen Großstädten stattfinden, hat man den Eindruck, dass sich zwischen Bürgern und Politik eine Distanz zeigt. Müssen Politiker in der Krise noch besser kommunizieren, warum welche Entscheidungen getroffen werden?
Natürlich ist Politik immer auch Kommunikation – der direkte Draht zum Bürger ist unser Anspruch in Bayern. Aber wenn ich mir manche Diskussion im Internet ansehe, kann ich nur sagen: Da hält so mancher seinen eigenen Vogel für den Heiligen Geist. Nicht mit allen, die sich in ihrer Blase eingerichtet haben und an Irrlehren festhalten wollen, wird man konstruktiv diskutieren können. Wer gegen Maßnahmen zur Eindämmung von Corona demonstrieren will, kann das gerne tun. Er oder sie soll aber bitte den nötigen Mindestabstand zu anderen einhalten und vor allem in geistiger Hinsicht den gebotenen Mindestabstand zu Extremisten von Links und Rechts sowie Verschwörungstheoretikern. Denn da hört es auf. Ich jedenfalls werde nicht nachlassen, den Bürgern getroffene Entscheidungen zu erklären und mich dem Dialog zu stellen. Die Erfahrung zeigt: Der Großteil ist Argumenten zugänglich und zeigt durchaus Verständnis für nötige und gut begründete Maßnahmen. Der Dialog auf Augenhöhe ist essenzieller Bestandteil meines Politik- und Demokratieverständnisses.
Für eine Situation wie diese gibt es keinerlei Blaupause, aber eine Vielzahl an Möglichkeiten, Vorschlägen, Forderungen und Wünschen. Was ist Ihr wichtigster Maßstab bei Entscheidungen?
Oberstes Ziel bleibt, uns alle so gut wie möglich vor der Infektion zu schützen. Gleichzeitig geht es darum, das öffentliche Leben wieder zu beginnen, mehr Freizügigkeit zu ermöglichen sowie Produktion, Handel, Gastronomie und Tourismus wieder zu beleben. Egal, ob wir über Lockerungen an Schulen und Kitas, im Einzelhandel oder in der Hotellerie reden – alle Schritte müssen durch Schutzmaßnahmen begleitet werden, um das Entstehen neuer Infektionsketten zu vermeiden.
Wird Bayern nach der Pandemie anders sein?
Ich denke schon. Wir beobachten derzeit, wie das Virus auch die Gesellschaft verändert, vielleicht sogar positiv. Wir halten Abstand und rücken doch zusammen. Wir beschäftigen uns mehr miteinander, probieren neue Formen der Interaktion aus, fragen uns, wer und was wirklich zählt. Ministerpräsident Dr. Markus Söder sagt immer, das Ganze ist ein Charaktertest für unsere Gesellschaft. Bislang muss ich den Hut ziehen vor den Bayern angesichts einer Herausforderung, wie sie meine Generation noch nie erlebt hat. Es macht mich auch ein bisschen stolz zu sehen, wie solidarisch und stark unsere Gesellschaft ist, wenn es darauf ankommt.