Auch die Kirchengemeinden standen und stehen durch die Pandemie vor ganz neuen Herausforderungen: Das bisher gewohnte Gemeindeleben mit Gottesdiensten, Seelsorge und gemeinschaftlichen Aktivitäten wurde komplett auf den Kopf gestellt. Viele Gemeinden bewiesen in der Krise ein hohes Maß an kreativem Potenzial, neue Formen des geistlichen Miteinanders umzusetzen.
„Schon relativ früh in der Krise war es offensichtlich, dass gottesdienstliches Leben, wie es vorher in der Gemeinde in vielfältiger Weise üblich war, so nicht mehr stattfinden konnte“, sagt Johanna Bogenreuther, Vikarin der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Roth bei Nürnberg. „Nicht nur die großen Festgottesdienste mit über 500 Besuchern, sondern auch Sonntagsgottesdienste, vor allem verbunden mit der Feier des Abendmahls, sind im Angesicht von Corona nur schwer und wenn, nur mit besonderer Vorsicht möglich. In der Zeit, in der Gottesdienste untersagt waren, haben wir das Format ‚Hope to go‘ ins Leben gerufen, ein kurzer theologischer Impuls von etwa drei bis fünf Minuten, abzurufen auf der Homepage, auf YouTube und in einer Facebook-Gruppe, die viele Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt nutzen. Dadurch kamen wir mit unseren Gemeindemitgliedern in Kontakt.“
Seit dem 10. Mai sind sowohl die Sonntagsgottesdienste als auch Gottesdienste zu besonderen Anlässen, wie Taufen und Hochzeiten, wieder gestattet – mit besonderen Auflagen wie Abstandsregelungen und selbst gestalteten Mund-Nasen-Masken, die in der jeweils passenden liturgischen Farbe verwendet werden.
„Die Vorzeichen waren nicht zu leugnen und doch wusste keiner, was da auf uns zukommen würde. Unsicherheit war überall zu spüren, bei den öffentlichen Vertretern wie bei den Gläubigen“, resümiert Reinhard Röhrner, Stadtpfarrer von St. Mariä Himmelfahrt in Kelheim, den Beginn der Corona-Krise. „Die Ausgangsbeschränkungen trafen das Leben unserer Pfarrei im Mark, denn Seelsorge heißt Gemeinschaft leben und erfahren. All das sollte plötzlich nicht mehr möglich sein? Was ist mit den Menschen, die auf andere angewiesen sind? Schnell machte sich Hilfsbereitschaft breit, Menschen standen füreinander ein, halfen sich, übernahmen Dienste füreinander wie Einkaufen und Botendienste.“ Im Pfarrgemeinderat war man sich schnell einig, die Gottesdienste live zu übertragen. Nach Anfangsschwierigkeiten mit den neuen Medien fand man eine praktikable Lösung mit einer Live-Website (www.live.mariaehimmelfahrt.org).
Eine besondere Herausforderung für die Kirchen sind Beerdigungen. Trauernde sehnen sich nach Nähe, dem Händedruck, der Umarmung, die derzeit nicht möglich sind, oder dem Getragensein in einer spürbaren Gemeinschaft. Auch Tauffeiern und Trauungen wurden verschoben. Die größte Herausforderung für Pfarrer Röhrner war das Feiern der Gottesdienste ohne lebendige Gemeinde: „Für einen Pfarrer wie mich, der nach dem II. Vatikanum aufgewachsen ist, eine ungewohnte Form. Dennoch erlebte ich die Stadtpfarrkirche ganz neu. Nur eine Mesnerin und manchmal mein Dackel Elija waren in der ungewohnten Stille dabei, die es auszuhalten galt.“
Mit den Lockerungen werden die Spielräume größer. Seelsorge soll achtsam und wirksam sein, hygienische Maßnahmen und vorausschauende Planungen ermöglichen erste Begegnungen: Maiandachten im Freien, auf „weitem Feld“ oder auch über den Zaun mit den Bewohnern des Pflegeheims machten das Erleben gemeinsamen Betens und Singens wieder in kleinem Rahmen möglich.
In Roth wollte man neben seelsorgerischen Aufgaben auch alltägliche Dienstleistungen und die Unterstützung Hilfsbedürftiger sinnvoll organisieren. „So entwickelten wir die Plattform www.churchon.de, die sowohl Seelsorge als auch Hilfe im Alltag vermittelt. Schon kurz nach Veröffentlichung entstand daraus das Netzwerk „Roth hilft“ zusammen mit der Stadt und den christlichen Gemeinden vor Ort. Ein hier ansässiges Autohaus unterstützte uns sogar mit einem Auto, das unsere Ehrenamtlichen jetzt für die Alltagshilfe nutzen können“, freut sich Johanna Bogenreuther.
Gerade in schwierigen Zeiten zeigt sich, wie sehr Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe tragen können. Eine Krise kann auch eine Art Neustart bewirken, sind sich die beiden Geistlichen einig: Neue Ideen, neue Formen gemeindlichen Lebens entstehen, zu deren Entwicklung vorher kein ausreichender Impuls gesetzt war. Das ist eine große Chance für die Gemeinden, Zukunft kreativ zu gestalten.