Die Corona-Pandemie hat ungeahnte Auswirkungen auf die Wirtschaft weltweit. Einschätzungen zur aktuellen Situation und zum Konjunkturpaket der Bundesregierung gibt Prof. Dr. Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Hätten Sie sich vorstellen können, dass ein Virus die Wirtschaft in eine so tiefe Krise stürzt?
Die Virologen haben ja schon lange vor der Gefahr einer Pandemie gewarnt. Aber wenn ich ehrlich bin, war das kein Szenario, das ich so richtig auf dem Radar hatte. Und zu Beginn der Pandemie hatte ich wie viele andere noch die Hoffnung, dass die Auswirkungen nicht so dramatisch sein würden, weil mit dem Sommer die Ansteckungsgefahr zurückgehen würde. Da war ich vermutlich zu optimistisch.
Steuersenkungen, Investitionsprogramme, Innovationsprämien – an Ideen, was die Wirtschaft ankurbeln könnte, mangelt es nicht. Was sind Ihre?
Entscheidend ist aus meiner Sicht nicht so sehr, wie viel Geld ausgegeben wird, sondern wofür. Denn das Geld wird in den nächsten Jahren nicht mehr so locker sitzen wie jetzt in der Krise. Deshalb ist es wichtig, nicht nur kurzfristig die Wirtschaft anzukurbeln, sondern auch den mittel- und langfristigen Strukturwandel im Blick zu haben und dafür die notwendigen Impulse zu setzen.
Wo setzt das Konjunkturpaket der Bundesregierung diese Impulse?
Das Konjunkturpaket besteht aus zwei Elementen, eines das die Konjunktur unmittelbar in Schwung bringen soll, ein zweites, das mehr auf die Zukunft ausgerichtet ist, um langfristiges Wachstum zu fördern. Durch die geplante Mehrwertsteuersenkung werden unmittelbar Kaufimpulse gesetzt. Ich gehe davon aus, dass die Unternehmen diese Steuersenkung weitgehend an ihre Kunden weitergeben werden, so war das zumindest in früheren Fällen. Die temporäre Preissenkung motiviert die Kunden, gerade größere Anschaffungen nicht aufzuschieben, sondern zeitnah zu tätigen. So wird die Wirtschaft kurzfristig angekurbelt.
Das Zukunftskonzept wiederum setzt, wie vom Sachverständigenrat empfohlen, wichtige Impulse für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Neuausrichtung unserer Wirtschaftsstruktur. Investitionen in Forschung und Entwicklung sollen zum Beispiel dafür sorgen, dass Deutschland im Bereich Künstliche Intelligenz und Quantentechnologien wirtschaftlich und technologisch an der Weltspitze konkurrenzfähig ist. Ein ähnliches Ziel verfolgt die beschleunigte Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Zum Zukunftskonzept gehören auch die Investitionen in den Ausbau der Digitalisierung sowie öffentliche Investitionen in das Gesundheitswesen, den öffentlichen Nahverkehr, die Netzinfrastruktur, die Infrastruktur für die emissionsneutrale Mobilität sowie in den Breitbandausbau und in die Digitalisierung von Behörden und Schulen. Durch diese Maßnahmen wird die komplementäre Infrastruktur für eine zukunftsfähige und nachhaltige Wirtschaft gestärkt.
In einem Brief hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, dem Sie angehören, auf die Schockwirkung der Krise für die Gründerszene in Deutschland hingewiesen. Was schlagen Sie vor, um das Vertrauen in Existenzgründungen und selbstständiges Unternehmertum trotz Krise zu stärken?
Wichtig sind die konkreten Hilfsmaßnahmen für Gründerinnen und Gründer, wie z. B. die geplante Unterstützung durch den Bund für Wagniskapitalfinanzierungsrunden über die neuen Corona Matching Fazilitäten. Das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket sieht auch vor, die Möglichkeiten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich an ihren Unternehmen zu beteiligen, zu verbessern. Das ist vor allem für Start-ups ein wichtiger Aspekt bei der Rekrutierung. Aber da Sie das Stichwort Vertrauen ansprechen: Das Zukunftspaket gibt auch ein deutliches Signal, dass die Politik auf die Zukunft setzt. Ich denke hier vor allem an die Investitionen in die Digitalisierung. Dass der Staat sich jetzt verpflichtet, verstärkt in die Digitalisierung der Behörden und der Schulen zu investieren, setzt auch wichtige Anreize für Start-up-Unternehmen, hierfür attraktive Angebote zu entwickeln.
Die Pandemie macht Schluss mit der schwarzen Null. Bund und Länder nehmen Milliarden in die Hand, um zu helfen. Gleichzeitig sinkt das Steueraufkommen. Wie teuer wird die Corona-Krise?
Das hängt natürlich davon ab, wie schnell sich die Wirtschaft in Deutschland, aber auch in Europa und im Rest der Welt wieder erholt. Wie stark uns die Mehrausgaben belasten werden, haben wir aber ein Stück weit selbst in der Hand, indem wir genau überlegen, wie zielgerichtet und zukunftsorientiert wir die Hilfsmittel ausgeben. Nach der Finanzkrise haben wir es geschafft, innerhalb von zehn Jahren unsere Verschuldungsquote bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt von 80 auf 60 Prozent zu reduzieren. Dazu haben ein paar sehr gute konjunkturelle Jahre beigetragen, die niedrigen Zinsen und die strikte Haushaltsdisziplin. Wenn durch das Zukunftspaket jetzt in zukunftsorientierte und nachhaltige Infrastruktur investiert wird und es uns dadurch gelingt, die Digitalisierung voranzutreiben und Geschäftsmodelle zu unterstützen, mit denen wir auch in Zukunft international wettbewerbsfähig sind, dann bin ich zuversichtlich, dass wir auch aus dieser Krise schnell wieder herauswachsen. Die Politik alleine kann es aber nicht richten, dafür müssen auch alle Unternehmen ihre Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen.
Wir brauchen einen Marshall-Plan für Europa, hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gefordert, milliardenschwere Hilfsprogramme werden aufgelegt. Wie kann bzw. sollte Europa Ihrer Meinung nach in der Krise reagieren?
Die Krise hat alle EU-Staaten massiv betroffen, aber einige sind stärker belastet als andere. Das gilt für die gesundheitlichen Schäden einerseits, aber auch für die wirtschaftlichen andererseits, z. B. weil einige Länder stärker auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen sind als andere. Ich halte es deshalb für absolut zentral, dass die EU-Staaten in dieser Krise nicht auseinanderdriften, sondern im Gegenteil zusammenstehen und sich gegenseitig unterstützen. Die unterbrochenen Lieferketten in der Krise haben uns deutlich vor Augen geführt, wie sehr wir in Europa wirtschaftlich miteinander verflochten sind und wie sehr wir davon alle profitieren.
Aus meiner Sicht sollte ein Wiederaufbaufonds in erster Linie dafür genutzt werden, gemeinsame Projekte voranzutreiben, die Europa stark machen. Ich denke da vor allem an den Green Deal, den Bereich Gesundheit, Infrastrukturmaßnahmen und die Digitalisierung. Gerade im Bereich der Digitalisierung müssen wir aufpassen, den Anschluss an die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten nicht zu verlieren. Dafür müssen wir EU-weit die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit wir die Größe des europäischen Marktes für digitale Angebote stärker ausspielen können. Das hilft den Unternehmen, innovative Geschäftsmodelle leichter zu skalieren und so international wettbewerbs-fähiger werden zu können.
Wann können wir auf eine Erholung hoffen und wie stark wird sie ausfallen?
Aktuell sind natürlich alle Prognosen mit großer Unsicherheit behaftet. Wir sehen in den Indikatoren wie dem Geschäftsklimaindex oder dem Managerindex aber schon jetzt erste Anzeichen einer Erholung. Die Wirtschaft wird in der zweiten Jahreshälfte und erst recht 2021 wieder deutlich wachsen. Aktuelle Prognosen gehen aber davon aus, dass wir erst 2022 wieder das Potenzialniveau von vor der Krise erreicht haben werden.
Welche wirtschaftlichen Entwicklungen und Trends, die sich jetzt herauskristallisieren, sollten Ihrer Meinung nach auch nach der Krise weiterverfolgt werden?
Die Unternehmen werden künftig stärker darauf achten müssen, ihre Lieferketten resilienter zu machen, indem sie mehr diversifizieren. Gleichzeitig sind aktuell besonders die Unternehmen im Vorteil, die bereits auf Digitalisierung und auch Automatisierung setzen. Hier erwarte ich einen Innovations- und Investitionsschub. Wie viel Nachholbedarf es in diesen Bereichen in Deutschland gibt, sehen wir auch in den Behörden. Und auch im Bildungsbereich erleben wir aktuell, dass wir in puncto digitale Lernkonzepte im Vergleich zu anderen Ländern deutlich im Rückstand sind. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um in die digitale Ausstattung und Ausbildung zu investieren.
Eine Krise wie die aktuelle Corona-Pandemie ist Neuland für uns. Auch in der Politik sprechen wir davon, dass es dafür keine Blaupause gab und gibt. Wie belastbar sind wirtschaftliche Vorhersagen in dieser Krise?
Prognosen sind schon in normalen Zeiten schwierig, nicht zuletzt, weil Menschen und Unternehmen auf veröffentlichte Prognosen reagieren können und das auch tun. Um so schwieriger ist es, in einer solchen Ausnahmesituation wie der Corona-Pandemie zuverlässig zu prognostizieren, wie sich die Wirtschaft entwickeln wird. Zumal dies stark von der virologischen und epidemiologischen Entwicklung und den Reaktionen der Politik und der Bevölkerung weltweit abhängt. Wir müssen deshalb damit leben, dass wir unsere Prognosen immer wieder anpassen und aktualisieren müssen.