VOM EISERNEN VORHANG ZUM HERZ EUROPAS
Dr. Gerhard Hopp
Aufgewachsen nur einen Katzensprung von der bayerisch-böhmischen Grenze geht der Blick ganz naturgemäß Richtung Osten. Über Jahrzehnte war dieser jedoch skeptisch und nicht selten besorgt, verlief die Nahtstelle des Kalten Krieges doch nur wenige Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Die NATO-Türme am Hohenbogen, die nach Osten horchen und feindliche Truppenbewegungen vorhersagen sollten, gehörten für meine Eltern und auch mich zum ganz normalen Blick aus dem Wohnzimmerfenster.
Die friedliche Grenzöffnung 1989 war dann schlicht und einfach ein Wunder für viele, dem mit der Aufnahme unserer tschechischen Nachbarn in die Europäische Union 2004 nur wenige Jahre darauf ein zweites folgte. Ganz selbstverständlich konnte ich dann genau in dieser Zeit tun, was für viele Generationen vor mir – wie meinem Schwiegervater, der in den besagten NATO-Türmen noch Dienst geleistet hatte – nicht möglich war: Sprache, Kultur, Geschichte und auch Politik unserer Nachbarn kennenlernen.
Zunächst 2005 in Brno (Brünn), wo ich mit 150 jungen Studierenden aus der ganzen Welt zusammentraf und mir mit einem Holländer ein Zimmer im Wohnheim „Druzba“ (Freundschaft) teilte. So wichtig Kurse und Seminare auch sind, bestätigte sich aber auch hier eine alte Weisheit: Am besten lernt man die Mentalität und die Sprache nicht nur aus Büchern, sondern im Gespräch am Biertisch in den vielen kleinen Kneipen des Nachbarlandes kennen. Dies galt bei mir nicht nur für Brünn, sondern auch im Anschluss für die tschechische Landeshauptstadt Prag während eines Praktikums bei der Konrad-Adenauer-Stiftung 2006.
Ich freue mich immer, wenn ich zu Diskussionen mit tschechischen und bayerischen Austauschschülern eingeladen werde, die sich auf unsere Freundschaft und auf Europa einlassen und vollkommen zu Recht auch die Frage stellen, was Europa denn ist. Darauf gibt es viele Antworten: Europa bedeutet, in einer kleinen mährischen Kneipe mit einem Tschechen radebrechend auf Tschechisch über Fußball zu diskutieren, während er mit einigen Brocken Deutsch das Gleiche versucht. Europa bedeutet, dass Landesgrenzen ohne Angst und ganz selbstverständlich auf dem Weg zum Arbeitsplatz überschritten werden, wie es mittlerweile 4.000 Tschechinnen und Tschechen allein in meinem Heimatlandkreis Cham jeden Tag tun. Mit einem Augenzwinkern stelle ich mich manchmal als „Westtscheche“ vor, was natürlich als Spaß zu verstehen ist, aber gleichzeitig signalisieren soll, wie weit wir bei der Integration in Europa gekommen sind.
Klar ist: Europa schafft bei allen Unzulänglichkeiten jeden Tag kleine neue Wunder, nicht zuletzt, in Frieden und im Austausch mit den Nachbarn leben zu können. Für meine und die noch jüngeren Generationen sind dies Selbstverständlichkeiten, die sich Generationen vor uns aber nicht einmal erträumen ließen.
„ICH BIN EIN FAN VON EUROPA.“
Josef Schmid
Wir haben seit über 70 Jahren Frieden und halten diesen auch. Wir leben in einer demokratischen Einheit und haben offene Grenzen und Freizügigkeit. Jeder kann spontan, ohne ein Visum beantragen zu müssen, in den Urlaub fahren und kann dort sein Eis mit der gemeinsamen Währung, dem Euro, bezahlen. Der Zusammenschluss der 28 EU-Mitglieder sorgt auch für wirtschaftliche Freiheit. Die EU bildet den größten Wirtschaftsraum der Welt, wir profitieren also vom Zusammenhalt der Mitgliedstaaten. Bayern exportiert über 56 Prozent seiner Waren und Güter in europäische Länder, allem voran Fahrzeuge, elektrotechnische Erzeugnisse und Maschinen. Wir importieren auch viel aus den europäischen Ländern, nämlich über 60 Prozent unserer Güter. Zusammen sorgt das für Wohlstand in Bayern.
Leider herrscht aktuell eine Verdrossenheit in Sachen Europa, das sieht man am Brexit und der allgemeinen Fluchtbewegung. Der Binnen-Zusammenhalt droht zu zerbröckeln und muss wieder gestärkt werden. Das Bewusstsein, welchen Vorteil die EU uns bringt, muss wieder geschärft werden. Um den Bürgern Europa wieder näher zu bringen und das Gefühl zu verbessern, habe ich noch als Bürgermeister der Landeshauptstadt das Projekt „Cities4Europe“ nach München geholt. Hier geht es darum, die Bürger und die Politik zusammenzubringen, um das gemeinsame Projekt Europa wieder nach vorne zu bringen. Das Vertrauen zwischen den Bürgern und den Verantwortlichen wird dadurch wieder gestärkt, da die Bürger selbst aktiv werden können, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Europa gibt uns viel und das müssen wir aufrechterhalten!
HEIMAT OHNE GRENZEN
Sylvia Stierstorfer
Europa ist wichtig, weil Heimat keine Grenzen mehr hat! Gerade für die Heimatvertriebenen und Aussiedler war die europäische Teilung, der Eiserne Vorhang, besonders schmerzhaft. Viele konnten über Jahrzehnte hinweg die alte Heimat nicht einmal besuchen und wurden von den kommunistischen Regimes, die im Kalten Krieg in der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien herrschten, vielfach als „Revanchisten“ verunglimpft.
Das hat sich mit dem Fall der Mauer und der Aufnahme der ostmittel- und südosteuropäischen Reformländer in die EU 2004, 2007 und 2013 gründlich geändert. Die Aussiedler und Vertriebenen können nicht nur wieder problemlos in ihre alte Heimat reisen – sie sind dort vielfach auch willkommen. Es sind zahlreiche Kontakte entstanden, ein reger Austausch und häufig sogar neue Freundschaften. Die alte Heimat im Sudetenland, in den Karpaten, in Siebenbürgen, im Banat, in Syrmien und der Batschka, in Schlesien, Pommern, West- und Ostpreußen, in Ungarn, im Baltikum, aber auch außerhalb der EU in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, trennt die Menschen heute nicht mehr, sondern verbindet sie. Sie ist heute wieder Heimat für die, die sie einst verlassen mussten, genauso wie für die, die heute dort leben. Diese Friedensleistung wäre ohne die Europäische Einigung undenkbar.
SOLIDARITÄT, ZUSAMMENARBEIT UND FREIZÜGIGKEIT
Judith Gerlach
Der Gedanke an den drohenden Brexit ist für mich wie ein Stich ins Herz, vor allem wenn ich an meine Zeit in England denke. Während einer Sprachreise meines Gymnasiums nach Poole lebte ich zwei Wochen bei einer englischen Gastfamilie und besuchte vormittags eine Sprachschule. Viel interessanter waren allerdings die Ausflüge, die kulturellen Unternehmungen und sportlichen Aktivitäten, aber auch das Leben in einer englischen Gastfamilie. Hier konnte ich erfahren, was „typisch englisch“ ist, aber auch was uns Europäer verbindet – getreu dem Motto „united in diversity“. Zwar waren die kulinarischen Genüsse, wie „fish and chips“ und „baked beans“, anfangs sehr gewöhnungsbedürftig, jedoch war es insgesamt eine tolle Erfahrung, die britische Kultur zu erkunden und den britischen Alltag zu erleben.
Auch wenn ich nur eine kurze Zeit in England verbrachte, wurde mir bewusst, dass es nicht um Vereinheitlichung innerhalb der EU geht, sondern dass unterschiedliche Traditionen und Kulturen gewahrt werden sollen und gleichauf mit den verbindenden Elementen Europas sind. Mir wird zum Beispiel immer in Erinnerung bleiben, wie der Sohn der Gastfamilie mit seinen klassisch roten Locken zu Songs des R&B Sängers Usher sang und dazu seine kreativen „dance moves“ vorführte. Diese Lieder waren zu der Zeit in ganz Europa bekannt und verbündeten uns Jugendliche, während ich mich mit den täglichen Essig-Chips nie anfreunden konnte.
Umso mehr betrübt es mich zu wissen, dass solche Sprachreisen bald nur noch erschwert möglich sein werden. Damals war meine Gastmutter noch ziemlich erstaunt, dass wir nur mit unserem Personalausweis ganz unkompliziert einreisen konnten, doch sehr bald wird es leider wieder Realität sein, nur noch mit Reisepass den Ärmelkanal überqueren zu können. In solchen Zeiten finde ich es wichtig, sich auf die Grundideen der Europäischen Union zu stützen – Solidarität, Zusammenarbeit und Freizügigkeit!
ÜBER DEN TELLERRAND
Melanie Huml
Über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, halte ich für ganz wichtig. Deshalb unternehme ich als Bayerische Gesundheits- und Pflegeministerin hin und wieder Dienstreisen ins Ausland. In Stockholm hat mir Königin Silvia vor drei Jahren gezeigt, wie sie mit ihrer Stiftung „Silviahemmet“ Demenzkranke und ihre Angehörigen umfassend betreut – ein wunderbares Konzept, bei dem es Gemeinsamkeiten mit den Leitzielen unserer Bayerischen Demenzstrategie gibt. So wollen wir beide den Demenzkranken ein Leben in Würde und Selbstbestimmung ermöglichen. In Bayern fördern wir eine Vielzahl unterschiedlichster Projekte und Angebote. Schwerpunkt ist eine bedarfsgerechte Versorgung der Erkrankten, aber auch ein positiver Bewusstseinswandel in der Gesellschaft ist wichtig. Menschen mit Demenz dürfen nicht ausgegrenzt werden. Etwa 240.000 demenziell erkrankte Menschen leben in Bayern.
DIE EU UND DIE PUSTERTALER SPRINZEN
Dr. Petra Loibl
Europa bringt nicht nur Menschen weiter. Europa hat auch positive Auswirkungen auf das Tierreich. Denn auch unsere Fauna und Flora profitieren von einem geeinten und solidarischen Miteinander über Grenzen hinweg!
Das beste Beispiel liefert eine Rinderrasse, die im 19. Jahrhundert die schwerste Rinderrasse der östlichen Alpen und über das gesamte Südtiroler Pustertal und seinen Seitentälern verbreitet war: die Pustertaler Sprinzen. Ihr guter Ruf gelangte seinerzeit sogar bis in die ehemalige Kaiserstadt Wien. Die damals in der Kaiserstadt aufblühende Tierzuchtwissenschaft bezeichnete die „Pustertaler“ als die beste Rinderrasse der k.u.k.-Monarchie. Durch einen Erlass des landwirtschaftlichen Inspektorates der Region wurden 1927 die rot- oder schwarz typisch gefleckten Pustertaler Bullen von der Körung ausgeschlossen. Der Niedergang dieser wunderschönen Rasse folgte.
Als Tierärztin und Landwirtin ist mir der Erhalt alter und gefährdeter Haustierrassen äußerst wichtig. Auf unserem landwirtschaftlichen Familienbetrieb züchten mein Mann und ich seit Jahren neben dem Deutschen Gelbvieh auch Pustertaler Sprinzen, welche 1999 in Österreich zur „Rasse des Jahres“ ernannt wurden und für das Jahr 2020 von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) ebenso zur „Rasse des Jahres“ in Deutschland ernannt werden wird!
Ländergrenzen dürfen bei der Förderung der unter der gemeinsamen Verantwortung stehenden Kulturgüter nicht im Wege sein. Austausch von Zuchttieren, ein gemeinsames Zuchtbuch und internationale Züchtervereinigungen im Verbreitungsgebiet Deutschland, Österreich und Italien wären Ansätze, dieser vom Aussterben bedrohten Rinderrasse ein Überleben zu sichern. So kann sie in ihrer Einmaligkeit und Besonderheit unseren zukünftigen Generationen erhalten bleiben.
HEIMAT VERBUNDEN
Benjamin Miskowitsch
Meine Heimatgemeinde Mammendorf verbindet inzwischen eine knapp 12 Jahre lange Gemeindepartnerschaft mit Brem-sur-Mer in der Provinz Vendée. Die Besuche finden wechselseitig statt: In einem Jahr fährt eine Delegation nach Frankreich und das andere Jahr kommen die Franzosen nach Mammendorf. Das Bild entstand beim Austauschbesuch zum 10-jährigen Bestehen der Partnerschaft. Mit unserer Herbergsmutter aus Brem-sur-Mer haben wir – trotz einer gewissen Sprachbarriere – regelmäßigen Kontakt.