Die Realschule am Europakanal in Erlangen zählt in Sachen Digitalisierung zu den Vorreitern in Bayern. In den iPad-Klassen tauschen die Schüler seit 2010 Papier und Bleistift gegen Tablet und Eingabestift. Inzwischen sind die iPads aus dem Unterricht nicht mehr wegzudenken.
„Holt eure iPads raus. Wir starten unseren Chemieunterricht heute mit einem Video-Tutorial. Schaut euch die Anleitung zum Versuch gut an. Denn ihr werdet heute eure eigenen Versuche abfilmen und die Ergebnisse am Ende des Unterrichts vorne an unserem Whiteboard präsentieren". Was wie Zukunftsmusik klingt, ist an der Realschule am Europakanal schon lange Realität. Markus Bölling ist Schulleiter an der Realschule in Erlangen und betreut das Projekt iPad-Klassen von Anfang an.
Angefangen hat alles 2010, mit einer Reise in das Cisco Innovation Lab in den USA, die die Realschule damals beim Deutschen Schulpreis gewonnen hatte. „In dem Labor wurde uns die digitale Welt der Zukunft vorgeführt: offene Büros, kein fester Arbeitsplatz, überall verfügbares WLAN", erzählt Bölling von seinen Eindrücken. Zurück in Deutschland diskutierten die Lehrer, wie sie an ihrer Schule mobile Endgeräte und freies Internet für den Unterricht nutzen könnten. „Zunächst haben wir mit ein paar Notebooks herumexperimentiert. Als Apple 2010 die neuen iPads vorgestellt hat, haben wir mit dem Geld, das wir beim Deutschen Schulpreis gewonnen haben, zwölf Stück eingekauft. Das Projekt war auf Anhieb sehr erfolgreich", sagt Bölling. Mit dem Elternbeirat und einer größeren Mannschaft an Lehrkräften ging es zu einer kostenlosen Fortbildung. Die Begeisterung bei den Eltern war groß und es kamen auf Anhieb zwei iPad-Klassen zustande.
Mittlerweile hat die Realschule am Europakanal acht iPad-Klassen. Zum Einsatz kommen die iPads in jedem Fach, sogar im Sport. Die Schüler können Videos mit Bewegungsabläufen so oft abspielen, bis der eigene Ablauf routiniert sitzt oder je nach eigener Vorkenntnis unterschiedliche Übungseinheiten starten. „Es gibt sehr viele kreative Möglichkeiten, die iPads im Unterricht gewinnbringend einzusetzen. Unsere Lehrer müssen nur wissen wie. Manche Fächer profitieren davon natürlich mehr als andere", so Bölling. Damit die Lehrer fit für den Unterricht sind, bietet die Schule laufend Fortbildungen für alle Lehrkräfte an. Darin lernen die Lehrer, wie man mit einem interaktiven Whiteboard arbeitet, Dateien in einer Cloud-Lösung mit anderen teilt, Online-Lernplattformen nutzt oder Video-Tutorials erstellt und über den schuleigenen YouTube-Channel veröffentlicht. Wie erfolgreich das Projekt auch jenseits der Schulmauern läuft, zeigen die Klickzahlen im Channel. Ein Video-Tutorial aus dem Fach Chemie hat bereits über 141.000 Klicks.
Auch in Englisch sind die Tablets fester Bestandteil des Unterrichts. Für die iPad-Klassen wurde zum Beispiel das klassische Hörverstehen weiterentwickelt. Das Video hält auf dem Tablet nach zwei Minuten an, der Schüler bekommt eine Frage. Nur wenn er sie richtig beantwortet, geht das Video weiter. Ist die Antwort falsch, muss sich der Schüler die Videosequenz nochmal anschauen. Das neu konzipierte Hörverstehen hat den Vorteil, dass jeder Schüler in seinem individuellen Tempo lernen kann. Auch bei Präsentationen, Webrecherchen, der Kommunikation untereinander oder bei der unmittelbaren Rückmeldung der Schüler an den Lehrer kommt das iPad zum Einsatz. Bölling spricht von einer „Demokratisierung der Tafel": „Das interaktive Whiteboard von heute ist weder statisch noch bildet es nur das ab, was der Lehrer sagt. Heute können wir die Ergebnisse der Schüler über die iPads sofort an die Wand werfen. Diese Art der Wissenskontrolle geht viel schneller als mit herkömmlichen Mitteln. Der Lehrer kann in seinem Unterricht direkt darauf reagieren und das Tempo der Wissensvermittlung anpassen."
Die großen Vorteile der Digitalisierung sieht Bölling in der Visualisierung und Individualisierung von Lerninhalten. Der Lehrer wird in der reinen Wissensvermittlung entlastet, denn die Schüler können die Inhalte über die Online-Lernplattform selbst vor- und nachbereiten. Der Lerninhalt bleibt gleich, aber die Herangehensweise ist eine andere. Auch der Lehrer bekommt eine andere Rolle. Er hat mehr Zeit, die Schüler im Unterricht persönlich zu unterstützen und zu fördern. Bölling warnt aber gleichzeitig davor, die Risiken zu vernachlässigen: „Das Problem des gläsernen Menschen halte ich in Zeiten der Digitalisierung für gefährlich. Ob wir es wollen oder nicht, wir hinterlassen Spuren im Internet. Unsere Schüler müssen lernen, wie sie sich in digitalen Umgebungen richtig bewegen und wie sie authentische Informationen von Fake News unterscheiden können."
Als Digital Natives lernen die Schüler in ihrer Jugendkultur, wie man über Facebook und Snapchat kommuniziert. In den iPad-Klassen erlernen sie darüber hinaus viele weitere Kompetenzen, die man im 21. Jahrhundert braucht. So stellte die Realschule etwa fest, dass sich die Schüler aus den iPad-Klassen viel differenzierter im Internet informieren und sich im Informationsdschungel besser zurechtfinden. Der Lehrer hat dabei die Aufgabe des Navigators, der seine „Wissensnomaden" sicher durch die Datenwüste führt. Bölling setzt die Digitalisierung mit dem Wetter gleich: „Das ist da und geht auch nicht mehr weg. Ich muss die richtige Kleidung anziehen und mir überlegen, wie ich damit umgehe. Wenn ich das nicht tue, werde ich von Regen und Sturm überrascht."
Analoge Lerntypen gibt es heute auch noch. An der Realschule am Europakanal wird darauf Rücksicht genommen. Im Deutschunterricht kann zum Beispiel jeder Schüler wählen, ob er ein Buch lieber digital oder in Papierform liest. „Digital nur deshalb zu lernen, weil es ‚in‘ oder chic ist, ist der falsche Weg. Die Schüler müssen digitale und analoge Herangehensweisen kennenlernen, damit sie eine fundierte Entscheidung treffen können", sagt Bölling.
Eine große Herausforderung der nächsten Jahre sieht Bölling in der digitalen Schulaufgabe: „Wenn man digital arbeitet, sollten auch digitale Prüfungsformate in der Gesetzgebung möglich sein. Genauso müssen Fragen zum Datenschutz und Copyright eindeutig geklärt werden."
„Instant-on" als Dauerzustand? Nein danke! Beim Essen und beim Autofahren bleiben selbst bei Bölling alle Medien aus. Bewusst entscheiden, wann man erreichbar ist und wann nicht – das vermittelt er auch seinen Schülern. Böllings Fazit: „Pauken am iPad ja, aber die Technik darf die Sicht auf die wesentlichen Dinge im Leben nicht verdecken."
Prof. Dr. Gerhard Waschler, MdL: Masterplan Bayern Digital II
Das „Digitale Klassenzimmer" ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Schule. Eine gute Breitband- beziehungsweise WLAN-Versorgung unserer Schulen sowie die passgenaue Ausstattung mit digitalen Endgeräten sind dafür wichtige Grundvoraussetzungen. Unsere Lehrerinnen und Lehrer müssen entsprechend geschult werden, damit sie mit den neuen pädagogischen Möglichkeiten souverän umgehen und die digitalen Plattformen in ihrem Unterricht sinnvoll nutzen.
Mit dem Masterplan Bayern Digital II sorgen wir für den größten digitalen Aufschwung an Bayerns Schulen, den wir je hatten. Allein im Jahr 2018 stellen wir für die Digitalisierung unserer Schulen zusätzliche Mittel in Höhe von über 50 Millionen Euro zur Verfügung und schaffen 99 neue Stellen. Darüber hinaus plant Bayern konkrete Zukunftsinvestitionen in die IT-Infrastruktur in Höhe von knapp 160 Millionen Euro. Auch in den kommenden Jahren wollen wir in diesem Bereich weiterhin massiv investieren und Mittel in dreistelliger Millionenhöhe bereitstellen. Alle Schul-arten werden davon profitieren!