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Förderschulen
Inklusion an der Notker-Schule in Memmingen

Wenn es um das Thema Inklusion geht, kommt den Förderschulen eine ganz besondere Bedeutung zu. Mit der Vielfalt ihrer Angebote und der individuellen Betreuung und Förderung sind sie aus unserer Bildungslandschaft nicht wegzudenken. Als kompetente Ansprechpartner unterstützen sie außerdem Regelschulen beim gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf. Am Förderzentrum Notker-Schule in Memmingen werden 148 Kinder und Jugendliche betreut und unterrichtet. Wir waren vor Ort und haben die Einrichtung besucht.

Eine weitläufige lichtdurchflutete Aula, Mona-Lisa-Porträts in knalligem Neonlook, fröhliche Kindergesichter auf dem Weg von der Pause zurück ins Klassenzimmer. Betritt man die Notker-Schule in Memmingen, fühlt man sich gleich wohl. „Für die Schüler ist unsere Schule im wahrsten Sinne des Wortes ein Stück Heimat". Elke Molitor, Sonderschulkonrektorin, arbeitet seit 1989 im Förderzentrum Notker-Schule, Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. „Das hat nicht nur, aber auch mit der räumlichen Atmosphäre unserer Schule zu tun." Heilpädagogischer Kindergarten mit einer integrativen Gruppe und zwei Gruppen Schulvorbereitende Einrichtung, Schule mit Grund-, Mittel- und Berufsschulstufe, dazu noch eine heilpädagogische Tagesstätte – all diese Einrichtungen vereint das Förderzentrum unter einem Dach. „Viele unserer Kinder fangen schon mit drei Jahren bei uns im Kindergarten an und verbringen dann ihre gesamte Schulzeit bei uns. Schon allein deshalb ist es uns so wichtig, dass sich die Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien in dieser langen Zeit bei uns zu Hause fühlen."

Dieses zu-Hause-Fühlen fällt immer wieder auf, als wir durchs Schulhaus gehen. Elke Molitor kennt alle Kinder beim Namen, alle kennen sie, man grüßt sich, fragt, wie es geht. Jutta Maier, Erste Vorsitzende der Lebenshilfe Memmingen/Unterallgäu e.V., Träger der Einrichtung, weiß aus eigener Erfahrung, was das Förderzentrum so besonders macht. Sie hat selbst zwei behinderte Kinder, die in der Notker-Schule alle Bildungsstationen durchlaufen haben. Inzwischen sind ihre Söhne erwachsen und arbeiten in den Werkstätten der Lebenshilfe. „Wir sind hier eine große Familie. Lehrer, Therapeuten und Eltern arbeiten im Team zusammen – zum Wohle der Kinder. Für die Eltern ist es so wertvoll, wenn sie wissen, dass ihr Kind hier gut aufgehoben ist." Ursula Mader, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Memmingen/Unterallgäu e.V., ergänzt: „In der Lebenshilfe werden quasi alle Lebensbereiche von Kindern mit Förderbedarf abgedeckt. So wissen die Eltern, wie es für ihr Kind weitergeht, denn für jede Lebensphase gibt es die passende Institution."

2015 wurde der Notker-Schule das Schulprofil Inklusion verliehen. Beim Thema Inklusion geht das Förderzentrum einen ganz eigenen Weg: „Unser Ziel war von Anfang an, unsere Schule zu öffnen und den Menschen in Memmingen zu zeigen, wie wir arbeiten", so Elke Molitor. „Inklusion heißt ja nicht zwangsläufig, dass behinderte Kinder in Regelschulen gehen, wo die Umgebung oftmals gar nicht an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet ist. Wir haben uns gedacht: Hier haben wir das Know-how und das Equipment – warum nicht Regelschulkinder für gemeinsamen Unterricht zu uns holen?" Und so lernt seit 2001 eine Klasse der benachbarten Elsbethen-Grundschule gemeinsam mit einer Förderklasse in den Räumen der Notker-Schule. Das Partnerklassenprojekt ist inzwischen so erfolgreich, dass mehr Kinder teilnehmen wollen, als es Plätze gibt. Die beiden Klassen haben jeweils ihr eigenes Klassenzimmer. Ein Gruppenraum verbindet die Zimmer – hier findet der gemeinsame Unterricht statt. Heute geht es in der gemeinsamen Stunde um den Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart. „Unser Prinzip ist: Soviel gemeinsamer Unterricht wie möglich, aber auch getrennter Unterricht, wo nötig", so Molitor. Bei manchen Themen brauchen die Kinder der Förderklasse einen Vorlauf, damit sie den Kindern im Grundschulbereich ein echter Partner sein können.

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Mit Kompetenz und Begeisterung setzen sich Ursula Mader und Jutta Maier von der Lebenshilfe Memmingen/Unterallgäu e.V. und Konrektorin Elke Molitor für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf ein.
@CSU-Fraktion

Und die Kinder? Wie finden sie den gemeinsamen Unterricht mit den Förderschülern? „Wenn Kinder und Erwachsene lernen, keine Berührungsängste gegenüber Behinderten zu haben, ist aus meiner Sicht das wichtigste Ziel erreicht", betont Jutta Maier. Elke Molitor beobachtet vor allem bei der gemeinsamen Freiarbeit am Morgen, wie diese Berührungsängste stetig schwinden: „Regelschulkinder erleben, dass sie jemand anderem etwas erklären können, auch mal in die Rolle des Lehrers schlüpfen können. Umgekehrt begeistern Förderschüler oftmals durch ihre Kreativität und ihre spontanen Ideen." Aber natürlich müsse man immer auch im Blick haben, dass man weder die Kinder der Förderschule noch die Kinder der Regelschule überfordere.

Beim Gespräch mit Elke Molitor, Jutta Maier und Ursula Mader wird deutlich: Bei aller notwendigen Diskussion um das Thema Inklusion brauchen Förderschulen einen festen Platz in unserer Bildungslandschaft. Die Bedürfnisse der Kinder mit Förderbedarf sind so unterschiedlich wie sie selbst. Um dem gerecht zu werden, ist nicht nur fachlich hochqualifiziertes Personal und eine enge Abstimmung gefragt, sondern eine ganze Reihe anderer Faktoren spielen eine Rolle: Angefangen von behindertengerechten Waschräumen und Toiletten, barrierefreien Schwimm- und Sporthallen bis hin zu speziellen technischen Geräten für Kinder, die nicht über Sprache mit der Außenwelt kommunizieren können.

„Natürlich gibt es einzelne Kinder, die in einem Regelunterricht durchaus mithalten könnten. Aber die persönliche Betreuung und Pflege, die Differenzierung, wie wir sie am Förderzentrum machen können, würde man im Regelbereich nicht oder nur schwer hinbekommen", ist Elke Molitor überzeugt. „Bei der Inklusion an Regelschulen soll bei Eltern auch nicht das Gefühl aufkommen, dass sich Lehrer nicht ausreichend um die Regelschüler kümmern können, sobald ein behindertes Kind in der Klasse ist. Das würde dem Konzept Inklusion auch nicht gut tun", fügt Ursula Mader hinzu.

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Jugendliche lernen und arbeiten mit dem Whiteboard. In dieser Stunde geht es um das Thema Recht und Strafverfolgung.
@CSU-Fraktion

„Ich habe die Sorgen und Ängste von Eltern mit behinderten Kindern durchlebt. Bei allen Überlegungen steht doch eines im Vordergrund: Wo geht’s meinem Kind am besten?", so Jutta Maier. „Ich bin ein Verfechter der Förderschulen, weil wir hier alles im Blick haben. Gerade bei unseren geistig oder mehrfach behinderten Kindern denke ich: Damit für diese Kinder in einer Regelschule alles so wäre, wie sie es brauchen, müsste man die Regelschule zu einer Förderschule machen." Als die Inklusionsdebatte aufkam, hätten viele Eltern der Förderschüler auch Angst gehabt, dass künftig nur noch schwerstbehinderte Kinder an der Schule bleiben, erzählt Ursula Mader.

Gleichwohl geht die Notker-Schule mit den Eltern immer den Weg mit, den sie sich für ihre Kinder wünschen. „Die Eltern müssen von der Betreuung ihres Kindes überzeugt sein und es gibt eben auch Eltern, die möchten, dass ihr Kind in einer Regelschule unterrichtet wird. Inklusion und Förderschulen – beides ist wichtig", so Molitor.

Man merkt, wie viel Herzblut und Engagement tagtäglich in die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen fließt. Dieses Engagement kommt auch zurück – wenn zum Beispiel ehemalige Schüler der Partnerklasse ihr Freiwilliges Soziales Jahr an der Notker-Schule absolvieren oder wenn sich Schüler auch nach Jahren noch gegenseitig Karten und Briefe schreiben. Und so betont die Vorsitzende der Lebenshilfe, Jutta Maier, am Schluss unseres Besuches: „Vor 50 Jahren hatten wir als kleiner Verband die Vision, behinderte Menschen bestmöglich zu fördern und sie in die Mitte der Gesellschaft zu integrieren. Wenn wir heute zurückblicken, sehen wir: Es geht alles, wenn es von der Gesellschaft getragen und von der Politik unterstützt wird. Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn wir die Unterstützung und die Anerkennung auch weiterhin haben, können wir unsere erfolgreiche Arbeit zum Wohle der Kinder fortsetzen."

Norbert Dünkel, MdL

Norbert Dünkel zum Beitrag "Inklusion an der Notker-Schule in Memmingen.
Norbert Dünkel, MdL, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Förderschulen und Inklusion
@Foto Steinbauer (Elaine Schmidt)

Kinder und Jugendliche mit Benachteiligungen erhalten in Bayern vielfältige Bildungsangebote, um im späteren Leben auch einen Beruf ausüben und am Alltag teilnehmen zu können. Wir erweitern kontinuierlich die Angebote zur Umsetzung der Inklusion an den Regelschulen. Wir stärken aber auch unsere Förderschulen – qualitativ und personell.

Die Familien haben somit eine echte Wahlmöglichkeit, in welcher Schule ein Kind mit Handicap bestmöglich unterstützt und gefördert werden kann. Denn unser Grundsatz ist es, dass möglichst viele Kinder mit Förderbedarf den Lernort wählen können, der ihnen die bestmöglichen Chancen für ihre Entwicklung bietet.

Wir schaffen Stellen für Inklusion und Förderschulen und ermöglichen Regelschullehrern eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation. In Regensburg entsteht ein völlig neuer Studienstandort für Sonderpädagogik, in München und Würzburg schaffen wir je einen neuen Lehrstuhl. Zudem schaffen wir die Möglichkeit zur Öffnung von Regelschulen für Kinder mit Handicap und zur Öffnung von Förderschulen für Kinder ohne Handicap. Das sind nur einige Maßnahmen, mit denen wir diesem Grundsatz gerecht werden.

  

 

Bildquelle Header: Stephanie Bachmann – CSU-Fraktion