Manche Idee erscheint uns unvorstellbar – bis sie schließlich von jemandem umgesetzt wird: So war es beim Auto, dem Computer oder dem Internet. Fliegende Taxis – lange nur Science-Fiction – sind für Daniel Wiegand keine Zukunftsfantasie mehr. Er will das Flugzeug zum alltäglichen Transportmittel für jedermann machen und gründete vor drei Jahren das bayerische Start-up Lilium.
HERZKAMMER
Von der ersten Idee bis zur Umsetzung: Wie sahen die Anfänge Ihres Unternehmens aus?
DANIEL WIEGAND
Während meines Luftfahrttechnik-Studiums sah ich ein Video eines senkrechtstartenden Militärflugzeugs, der V-22 Osprey. Ich fragte mich, ob der Senkrechtstart nicht eine Möglichkeit wäre, Passagiere auch in Innenstadtlagen schnell zu befördern. Mein Ziel war von Anfang an ein umweltfreundliches und erschwingliches Transportmittel für alle. Während meines Masters habe ich dann das Gründerteam aufgebaut und wir entwickelten ein völlig neues Konzept für ein senkrechtstartendes Flugzeug mit elektrischen Jet-Antrieben. Wir Gründer – Sebastian Born, Patrick Nathen, Matthias Meiner und ich – kannten uns alle vom Studium an der TU München.
Im Februar 2015 haben wir dann die Lilium GmbH gegründet, zwei der Gründer haben dafür sogar ihre Doktorarbeiten abgebrochen. Wir erhielten eine erste Förderung vom Climate KIC und der ESA. Im ESA Inkubationszentrum in Gilching bei München zogen wir dann auch in ein kleines Büro. Dort haben wir den „Falcon", einen 1:2 Prototypen, gebaut. In diesen Prototypen investierte auch der Unternehmer Frank Thelen, der seitdem ein wichtiger Ratgeber für uns ist. Ab diesem Zeitpunkt ist die Firma dann rasant gewachsen.
HERZKAMMER
Die Idee eines Flugtaxis wird auch heute noch häufig belächelt und als Spielerei abgetan. Wie wurde Ihre Vision anfangs aufgenommen?
DANIEL WIEGAND
Ich war selbst überrascht, aber richtigen Gegenwind habe ich nie gespürt. Stattdessen gab es von Anfang an viel Begeisterung. Wir haben viele E-Mails bekommen, in denen Menschen uns beglückwünscht und uns geschrieben haben, wie großartig sie unsere Idee finden. Das hat auch uns als Team immer getragen: Wir hatten eine gemeinsame Vision – und auf Basis unserer Ausbildung als Ingenieure und aufgrund der physikalischen Prinzipien haben wir gewusst, dass es am Ende funktionieren wird.
HERZKAMMER
In den Fußstapfen von Otto Lilienthal – sehen Sie sich so?
DANIEL WIEGAND
Ich würde mich geehrt fühlen, mit ihm in einem Satz genannt zu werden. Tatsächlich haben wir uns auch wegen Otto Lilienthal „Lilium" genannt, weil es seine Vision war, das Flugzeug zu einem echt alltäglichen Transportmittel für jedermann zu machen.
HERZKAMMER
Auch die Luftfahrt- und Automobilkonzerne sind aktiv in Sachen Flugtaxis, jedoch mit eigenen Mitteln, Projektkooperationen und ausgestattet mit hohen Budgets für Forschung und Entwicklung. Wie besteht man als Start-up gegenüber solchen Konkurrenten?
DANIEL WIEGAND
Als Start-up können wir schneller arbeiten und sind auch entscheidungsstärker als unsere Konkurrenten mit langer Unternehmenshistorie und entsprechend komplexen Strukturen. Wir können uns ungehindert am Optimum orientieren. Inzwischen sind wir – auch verglichen mit den genannten Wettbewerbern – das weltweit größte Projekt im Bereich eVTOL, der elektrisch betriebenen Flugzeuge, die senkrecht starten und landen können. Wir haben mittlerweile 150 Top-Talente von Kalifornien bis Australien nach Bayern geholt und Investitionen von über 100 Millionen Dollar angezogen.
HERZKAMMER
Zu Zeiten eines Carl Benz sah die Umsetzung von revolutionären Ideen noch anders aus: Der Tüftler baut den ersten Prototypen, fährt ihn auf die Straße und überzeugt mögliche Käufer aus erster Hand. Das Auto setzt sich durch, Infrastruktur und Vorschriften folgen. Heute ist das anders: Ein dichtes Netz aus Regeln besteht bereits und Millionenbeträge müssen erst fließen, bis sich entscheidet, ob die Idee Fuß fassen kann oder nicht.
DANIEL WIEGAND
Für uns war es am Anfang letztlich auch wie bei Carl Benz: Im Mittelpunkt stand die Idee und die Vision. Unseren ersten Prototypen haben auch wir in der Garage zusammengebaut. Das Regelnetz, das ja aus guten Gründen besteht, dachten wir dabei gleich mit. Das Flugzeug haben wir von Anfang an so entwickelt, dass es als reguläres CS-23 Kleinflugzeug fliegen kann. Ein zeitnaher Markteintritt ist somit absolut möglich. Um täglich wirklich vielen Menschen unseren Service anbieten zu können, brauchen wir allerdings tatsächlich europaweite Standards für Landeplätze.
HERZKAMMER
Auf Ihnen und Ihrem Unternehmen lasten viele Erwartungen. Wie fühlt sich das an?
DANIEL WIEGAND
Jeder bei Lilium ist sich der Verantwortung bewusst und manchmal spürt man sie schon sehr. Deswegen sind wir dabei, ein Team auf Weltklasse-Niveau aufzubauen, das diese Erwartungen erfüllen kann. Vor kurzem konnten wir beispielsweise Dirk Gebser für Lilium gewinnen, der bei Airbus zuletzt die Produktionslinie für den A380 geleitet hat. Und im Mai ist Frank Stephenson bei uns angekommen. Er hat den modernen Mini entworfen und galt als der führende Designer bei McLaren. All diese klugen Köpfe und unsere gute Teamarbeit helfen dabei, unsere Ziele zu erreichen.
HERZKAMMER
Inwieweit kann der Staat innovative Unternehmen wie Ihres unterstützen?
DANIEL WIEGAND
Ich glaube, dass vor allem zwei Punkte sehr wichtig sind: Bildung und gesetzliche Standards. Eine gute Ausbildung ist ein extrem wertvoller Grundstein für innovative Unternehmen. Die TU München mit ihrer exzellenten Arbeit in den technischen Bereichen ist ein gutes Beispiel. Damit Unternehmen ihre Produkte aber auch an den Markt bringen können, müssen gesetzliche Anforderungen einheitlich und offen für neue Technologien gestaltet werden. Dadurch können Unternehmen klarer planen und Genehmigungsverfahren laufen reibungsloser ab. Finanzielle Innovationsförderungen von Seiten des Staates sind hilfreich, aber aus meiner Sicht eher weniger essenziell. Das Kapital bekommt man auch von privaten Investoren, die gesetzlichen Möglichkeiten jedoch nicht.
HERZKAMMER
Sicherheit ist ein großes Thema und auch Argument vieler Bedenkenträger. Wie sorgen Sie dafür, dass zukünftige Passagiere wieder sicher auf dem Boden ankommen?
DANIEL WIEGAND
Sicherheit ist unsere oberste Prämisse. Unsere Flugzeuge werden nach den strengen Sicherheitsstandards der kommerziellen Luftfahrt geprüft und zertifiziert. Alle Teile in unserem Jet sind redundant, das heißt, wenn ein Teil ausfällt, zum Beispiel ein Antrieb oder eine Batterie, gibt es weitere Teile, die die Leistung auffangen und das Flugzeug sicher landen lassen. Kollisionen in der Luft durch Pilotenfehler werden von einem Flugkontrollsystem verhindert, das auch bei den großen Airline-Flugzeugen zum Einsatz kommt. Zusätzlich gibt es noch einen Fallschirm, der den gesamten Jet sicher zu Boden bringen kann.
HERZKAMMER
Seit über drei Jahren stecken Sie all Ihre Zeit und Energie in das Projekt. Waren Sie schon einmal entmutigt?
DANIEL WIEGAND
Wir arbeiten in einem Bereich, den es bisher noch nicht gab. Daher ist jeder Tag voller Herausforderungen. Jedoch hindern uns Rückschläge nicht daran, weiter an unserer Vision zu arbeiten. Es ist natürlich, dass Probleme auftreten. Bis jetzt konnten wir sie immer lösen. Wir pflegen daneben eine Unternehmenskultur, in der Fehler offen besprochen und auch als Chance begriffen werden, um sich weiterzuentwickeln und zu lernen. Ich glaube, diese Einstellung ist das Geheimnis unseres Erfolgs.